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KonflikteÄgypten

Grenzübergang Rafah: Hilfe steht bereit, doch Ägypten zögert

17. Oktober 2023

In Ägypten warten am Grenzübergang Rafah bereits Lastwagen mit humanitärer Hilfe für den Gazastreifen. Doch Kairo hält die Grenze bisher geschlossen - und will vor allem keine Flüchtlinge ins Land lassen.

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Wartende LKWs mit Hilfsgütern am Grenzübergang Rafah
In Wartestellung: Lastkraftwagen am Grenzübergang RafahBild: REUTERS

Hoffnung für die Bewohner des Gazastreifens: Humanitäre Hilfslieferungen könnten sie nun absehbar erreichen. Die USA und Israel haben sich nach den Worten von US-Außenminister Antony Blinken auf die Ausarbeitung eines Hilfsplans geeinigt. Eine Abmachung über einen Zugang für Hilfslieferungen durch den Grenzübergang Rafah rücke näher, sagte auch ein Vertreter des Roten Kreuzes am Dienstagmorgen (17.10.2023). 

Genaueres zur erhofften Grenzöffnung für Hilfslieferungen sei zwar noch nicht bekannt. Aber "man kann sagen, dass wir uns einer Abmachung über den Zugang für Hilfen und die Ausreise von Ausländern nähern", sagte der Rot-Kreuz-Vertreter.

Derzeit warten Hunderte von Lastwagen, beladen mit Medikamenten, Lebensmitteln, Wasser und humanitärer Hilfe, auf der ägyptischen Seite darauf, nach Gaza zu fahren.

Auf der anderen Seite der Grenze warten Tausende von Palästinensern - darunter offenbar auch viele mit doppelten Staatsbürgerschaften - sowie Ausländer seit Tagen auf der Gaza-Seite der Grenze in der Hoffnung auf eine sichere Passage nach Ägypten.

Wartende Palästinenser aus dem Gazastreifen am Grenzübergang Rafah
Ungewissheit: Wartende Palästinenser aus dem Gazastreifen - darunter viele mit doppelten Staatsbürgerschaften - am Grenzübergang RafahBild: Ibraheem Abu Mustafa/REUTERS

Widerstände gegen Grenzöffnung

Ägypten hält seinen Grenzübergang allerdings geschlossen, seitdem Israel in der vergangenen Woche die Hamas mit Vergeltungsaktionen ins Visier genommen und dabei nach palästinensischen Angaben mehrfach auch den Grenzübergang oder dessen Umgebung getroffen hat. Die Terrororganisation hatte am 7. Oktober rund 1300 Israelis und Ausländer getötet und rund 200 israelische Zivilisten und Soldaten in den Gazastreifen verschleppt.

Unklar ist allerdings auch, ob die Hamas nach ihrem Angriff und den israelischen Vergeltungsschlägen den Palästinensern die Einreise nach Ägypten gestatten würde, da sie den Ausgang aus dem Gazastreifen auf der anderen Seite der Grenze kontrolliert. Einem Bericht des britischen "Guardian" zufolge erklärte der politische Führer der Hamas, Ismail Haniyeh, am vergangenen Wochenende, es werde "keine Migration von Gaza nach Ägypten geben".

Während Doppelstaatler und Ausländer möglicherweise auf Ausreise hoffen können, scheinen einfache Palästinenser aus Gaza ohne doppelte Staatsbürgerschaft kaum Chancen zu haben. So betonte der jordanische König Abdullah II. am Dienstag in Berlin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, dass weder Jordanien noch Ägypten weitere Palästinenser aufnehmen würden. Dies markiere eine "rote Linie", sagte er als Antwort auf eine Frage der DW - und betonte, hier könne er durchaus auch für Ägypten sprechen.

Ismail Haniyeh, Chef der Terrororganisation Hamas
Ismail Haniyeh, Chef der Terrororganisation HamasBild: Hamas Chief Office/ZUMA Pree Wire/picture alliance

Schutz für Zivilisten gefordert

Amr Magdi, leitender Forscher bei Human Rights Watch (HRW), sieht beim Zugang zum Gazastreifen Israelis wie Ägypter in der Pflicht: So fordert er die israelischen Behörden auf, ihre Entscheidung, Strom, Wasser, Internet, Treibstoff und Lebensmittel für den Gazastreifen zu kappen, zurückzunehmen.

"Die Unterbrechung von lebenswichtigen Hilfsgütern und Dienstleistungen stellt eine kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen dar und wird noch mehr Menschenleben kosten. Außerdem ist das Aushungern als Methode der Kriegführung verboten", so Magdi gegenüber der DW. 

Zugleich verlangt HRW von Ägypten, den Grenzübergang Rafah unverzüglich zu öffnen: "Ägypten ist nicht an diesem militärischen Konflikt beteiligt, es ist wohl aber den Genfer Konventionen verpflichtet", so Magdi. Die Genfer Konventionen sind ein wichtiger Teil des humanitären Völkerrechts und regeln in bewaffneten Konflikten unter anderem den Schutz von Zivilisten. 

Israel wiederum sei "verpflichtet, die Lieferung von Hilfsgütern zu ermöglichen und zu erleichtern", so Magdi. Ebenso habe es die Pflicht, fliehende Zivilisten in Sicherheit zu bringen. "Zugleich muss es Zivilisten die Rückkehr nach Gaza ermöglichen, sobald die militärische Eskalation beendet ist", so der HRW-Experte.

Unterdessen berichtet "Mada Masr" - die Online-Seite gilt als quasi einzig größeres unabhängiges Medium des Landes -, dass Ägypten Zelte entlang einer 14 Kilometer langen und einen halben Kilometer tiefen Pufferzone neben dem Grenzübergang aufstelle.

Dies könnte, sofern es bestätigt wird, dann doch auf Vorbereitungen für ankommende Flüchtlinge hindeuten - allerdings dementiert Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi dies bisher. Ägypten habe außerdem Sicherheitskordons errichtet, um eine Weiterreise von Menschen zu verhindern, so "Mada Masr".

Humanitäre Helfer mit Krankenwagen an der Grenze zum Gazastreifen
Bereit zum Einsatz: Humanitäre Helfer an der Grenze zum Gazastreifen Bild: REUTERS

Furcht vor angeblichen Umsiedlungsplänen

"Die ägyptischen Behörden befürchten, dass Israel an einem Plan zur Umsiedlung von Palästinensern in den Sinai arbeite", sagt Simon Fuchs, Professor für Islam- und Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, gegenüber der DW.

"Ägypten hat ein solches Ansinnen jahrzehntelang abgelehnt. Es wäre der ägyptischen Öffentlichkeit jetzt nur schwer zu vermitteln, selbst wenn es mit einem umfangreichen Schuldenerlass durch die Vereinigten Staaten einherginge", so Fuchs.

Israels wichtigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten, drängen Ägypten seit Tagen, die Grenze wieder zu öffnen. Im Gegenzug bieten sie dem wirtschaftlich seit Jahren stark gebeutelten Land finanzielle Erleichterungen an.

In Ägypten erinnert man sich noch gut an die Bilder von 2008, als Palästinenser aus dem Gazastreifen auf der Suche nach Lebensmitteln die Barrieren niedergerissen und den Grenzübergang Rafah gestürmt hatten. "Für Ägypten hat es oberste Priorität, solche Bilder um jeden Preis zu vermeiden", so Fuchs.

Präsident Al-Sisi hat kürzlich erklärt, er sehe die nationale Sicherheit in der jetzigen Lage als seine Hauptverantwortung an. Zugleich rief er die Bewohner des Gazastreifens wiederholt auf, "weiter standhaft zu sein und auf ihrem Land zu bleiben".

Eine weitere Erklärung für die einstweilen geschlossen bleibende Grenze dürfte sein, dass es für Ägypten schwer zu erkennen wäre, wenn mit Flüchtlingen auch Hamas-Anhänger ins Land kämen - die Organisation wird von der EU, den USA, Deutschland und anderen Ländern als terroristische Organisation eingestuft.

Auch Ägypten misstraut der Hamas zutiefst, denn die Palästinenser-Organisation ist eng mit der in Ägypten verbotenen islamistischen Muslimbruderschaft verbunden. Kairo betrachtet diese seit Jahren als Staatsfeind Nummer Eins. 

Sorge über unzufriedene Wähler

"Al-Sisi vollführt einen schwierigen Balanceakt zwischen innenpolitischen und regionalen Interessen", sagt Sanam Vakil, Leiterin des Nahost- und Nordafrika-Programms der britischen Denkfabrik 'Chatham House', der DW.

Hinzu kommt: Eine Entscheidung über Rafah könnte Einfluss auf den Ausgang der für Anfang Dezember angesetzten ägyptischen Präsidentschaftswahlen haben. Beobachter haben zwar keinen Zweifel daran, dass Al-Sisi für eine weitere, bis zum Jahr 2030 dauernde Amtszeit wiedergewählt wird.

Doch die Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen aus dem benachbarten Gazastreifen würde bei vielen Wählern vermutlich nicht gut ankommen. Auch deshalb, so Vakil, wolle Al-Sisi einen Anstieg von Flüchtlingszahlen in seinem Land möglichst verhindern.

Humanitäre Situation in Gaza spitzt sich immer mehr zu

Aus den Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Der Artikel wurde am 18. Oktober aktualisiert und präzisiert. 

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.