Das Gezerre um die irische Grenze
4. Dezember 2017Was geschieht mit der irischen Grenze nach dem Brexit? Dies ist eine der Kernfragen bei den laufenden Verhandlungen. Denn die Republik Irland gehört zur Europäischen Union, Nordirland als Teil Großbritanniens künftig aber nicht mehr. Quer über die grüne Insel wird also künftig eine EU-Außengrenze verlaufen, was massive Auswirkungen auf die Region haben könnte. Die DW fasst die wichtigsten Punkte in dieser Sache zusammen, deren Wurzeln gut hundert Jahre zurückreichen.
Die Teilung Irlands
Zur Zeit des Ersten Weltkriegs erreichten Irlands Bestrebungen nach Unabhängigkeit einen Höhepunkt. Die Iren kämpften mit Worten und Waffen - die britische Antwort darauf waren Gesetze, die zum Ziel hatten, die irische Insel eher zu dezentralisieren, als deren Unabhängigkeit zuzulassen. Erste Pläne, ein einziges Parlament in Dublin für die gesamte Region ins Leben zu rufen, scheiterten am Widerstand der nordirischen Unionisten. Sie machten sich für einen Verbleib im Vereinigten Königreich stark und waren nicht einverstanden mit der Aussicht, von einer Hochburg des irischen Nationalismus aus regiert zu werden.
Stattdessen wurde zwei Parlamente installiert; Nordirland und das kurzlebige Südirland entstanden. Nach einem dreijährigen irischen Unabhängigkeitskrieg akzeptierte die Regierung in London ihre Niederlage. In der Folge wurde Südirland 1922 vom irischen Freistaat abgelöst, dem Vorläufer der heutige Republik Irland. Irland war damit auch nicht mehr Teil Großbritanniens.
Bei der Festsetzung der Grenze zwischen beiden Teilen der Insel spielte die politische Haltung der Bewohner einzelner Regionen eine wichtige Rolle: Die englandtreuen Unionisten waren in weiten Teilen Irlands in der Minderheit, nicht aber in den überwiegend protestantischen Landstrichen Antrim, Down, Armagh und Derry/Londonderry, die einst zur Provinz Ulster gehörten. Weil diese vier Bezirke allein nicht als lebensfähig galten, wurden auch die Grafschaften Tyrone und Fermanagh Nordirland zugeschlagen.
Im Gegenzug wurden drei Bezirke der Provinz Ulster Teil von Südirland: Donegal, Monaghan und Cavan. All diese Entscheidungen zeigen, dass geographische Gegebenheiten bei der Grenzziehung nicht im Vordergrund standen. Die künstliche Grenze zerschnitt oft einzelne Gemeinden. Die Folgen beschreibt der Schriftsteller Spike Milligan in seinem Roman "Puckoon - Eine irische Dorfgeschichte", in dem es um einen fiktiven Ort geht, der durch die Grenze in zwei Teile zerschnitten wurde.
Schengen-Vorläufer
Um negative Auswirkungen zu minimieren, wurde 1923 die "Common Travel Area" gegründet, eine Art Schengen-Zone im Kleinen. Die Bewohner dieser Zone durften ohne Pass die innerirische Grenze überschreiten, was angesichts des regen Grenzverkehrs dringend nötig schien. Denn wer von einem Ort zum anderen unterwegs war, musste die im Zickzack verlaufende Grenze oft mehrfach passieren. Darüber hinaus ist die zum Süden gehörende Grafschaft Donegal im Norden der Insel nur über einen schmalen Korridor mit der Republik Irland verbunden. Wer von dort in andere Teile der Republik will, nimmt oft lieber den Weg quer durch Nordirland.
Es gibt ungefähr 300 kleinere und größere Übergänge an der 499 Kilometer langen Grenze. Oft merkt man kaum, dass man die Grenze überschreitet. Hinweistafeln oder Begrüßungsschilder, die zeigen, ob man sich gerade in Großbritannien oder in der Republik Irland befindet, sind eher selten.
Verschärfung durch Nordirlandkonflikt
So unsichtbar war die Grenze nicht zu allen Zeiten: Als 1969 die Gewalt im Nordirland-Konflikt eskalierte, nahmen britische Truppen dort Stellung. Die Grenze wurde massiv gesichert, um zu verhindern, dass Waffen aus geheimen Lagern in der Republik Irland nach Nordirland geschmuggelt wurden.
Die britische Armee schloss kleinere Grenzübergänge, zerstörte Zufahrtswege und sprengte Brücken. Einige Gemeinden waren von den massiven Einschränkungen besonders betroffen, was dort den Nationalismus nur weiter anheizte.
In einer Studie zum bevorstehenden Brexit haben Wissenschaftler der Uni Belfast mit Bewohnern des Grenzgebiets über ihre damaligen Erfahrungen gesprochen. "Ich bin nur einen Steinwurf von der Grenze entfernt aufgewachsen", erzählte eine nordirische Frau aus dem Fermanagh- und Omagh-Distrikt den Forschern. "Ich erinnere mich an 22-Meilen-Umwege, um einen Weg von vier Meilen zurückzulegen, ans Militär an den Übergängen und an geschlossene Straßen. Dienstleistungsangebote waren rar und es war schwierig, über die Runden zu kommen. Das britische Militär hat uns total terrorisiert."
Handelskrieg mit Folgen
Trotz der Common-Travel-Area-Vereinbarung von 1923, die die Reisefreiheit regelte, war der Güterverkehr im irischen Grenzgebiet jahrzehntelang eingeschränkt. Anfangs sollten Zollstellen nur den Warenfluß für bestimmte Güter beschränken. Doch im englisch-irischen Handelskrieg in den 1930er Jahren wurden auch Zölle auf Agrarprodukte sowie am Ende auch auf Kohle und Stahl eingeführt. Die Maßnahmen der Regierungen in London und Dublin schadeten den Grenzgemeinden enorm. Schmuggel und Schwarzmarkhandel nahmen zu.
Zwar endete der Handelskrieg 1936. Dennoch gab es weiterhin Zollkontrollen. Die wurden sogar fortgesetzt, als Irland und Großbritannien 1973 zeitgleich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitraten, der Vorläuferin der EU. Die Kontrollen endeten erst im Januar 1993 mit der Öffnung des Europäischen Binnenmarktes. Angesichts des Brexit wird diese Phase des freien Reise und Warenverkehrs auf der grünen Insel möglicherweise bald wieder Geschichte sein.