Der Filmnachwuchs des Berlinale Talent Campus
27. September 2013Ein bisschen stolz konnten auch die Berlinale-Macher sein, als in diesem Jahr der kasachische Regisseur Emir Baigazin die Premiere seines Films "Harmony Lessons" im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele erlebte. Denn 2008 hatten sie Baigazin die Teilnahme am Talent-Campus ermöglicht. Viele Kritiker hätten "Harmony Lessons" einen Preis gewünscht.
Dass er keinen gewann, kann der 29jährige Regisseur verkraften. Ein neues Leben begann für ihn dennoch. Denn Baigazin entschloss sich, an der Spree zu bleiben. "In Kasachstan gibt es fast keine Filmindustrie, und in Berlin habe ich in den letzten Jahren wichtige Kontakte knüpfen können." Sein Kameramann ist gleich mit ihm in der deutschen Hauptstadt geblieben.
Bloß nicht mit Landsleuten umgeben
War für Baigazin der Talent-Campus der Ausgangspunkt für seinen filmischen Werdegang, plante der Kolumbianer Juan Sarmiento sein deutsches Abenteuer ganz zielgerichtet aus der Ferne. 1984 in der Hauptstadt Bogota geboren, war für Sarmiento sehr früh klar, dass er sich dem Film widmen wollte. Und dazu gehörte auch das Studium an einer Filmhochschule. Obgleich viele Südamerikaner eher Spanien oder England als erste europäische Anlaufstelle wählen, entschied sich Juan Sarmiento für Deutschland. "Ein Freund hatte mir empfohlen, hier zu studieren. Normalerweise wären vor allem die USA, England und Frankreich als Länder für ein Filmstudium in Frage gekommen." Aber sieben namhafte deutsche Filmhochschulen (mehr als in Frankreich oder dem Vereinigten Königreich) und die Möglichkeit, ohne Gebühren zu studieren, waren gute Argumente.
Mit gerade einmal 18 Jahren verließ der junge Mann Bogota und kam 2003 nach Berlin, wo er zunächst einen neunmonatigen Sprachkurs absolvierte. "Ich habe mich sehr drauf konzentriert, mich mit Leuten zu umgeben, die keine Spanier oder Lateinamerikaner sind, um die Sprache schnell zu lernen. Das zwar schwierig, aber die richtige Entscheidung. Die Leute hier kommunizieren anders, gehen anders miteinander um. Aber ich war offen, mich anzupassen. Außerdem mag ich gern andere Kulturen kennen lernen."
Portrait eines Müllarbeiters als Einstieg
Nach dem Ende des Sprachkurses und den Dreharbeiten für einen Kurzfilm, flog Juan zunächst zurück nach Kolumbien, um dort den Film zu schneiden, mit dem er sich dann an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg bewarb. Der Film trug den Titel "Kein Idiot - das Leben eines Müllarbeiters" und Juan Sarmiento wurde angenommen. Darin portraitierte er einen Saubermann, der in dem Studentenheim arbeitete, in dem er selbst wohnte. "Es ging um seine Arbeit, aber auch um seine Meinung und seine Lebenseinstellung. Er war ein sehr interessanter Charakter."
"Ich dachte es würde klappen"
Juan Sarmiento kam ohne große Vorstellungen nach Deutschland. "Vom Leben in Deutschland hatte ich wenig Ahnung. Das Einzige, woran ich mich noch heute erinnere, war ein Magazinartikel, den ich gelesen hatte. In dem stand, dass Berlin das New York des 21. Jahrhunderts werden würde." Aber unabhängig davon brachte Juan Sarmiento die idealen Voraussetzungen mit, um hierzulande schnell Fuß zu fassen. "Ich bin für alles Neue aufgeschlossen und lasse mich gern überraschen", heißt es in seiner Beschreibung zum Talent-Campus, an dem er 2011 teilnahm. "Ich wusste, dass Berlin eine offene Stadt ist. Und mit der gleichen Einstellung bin ich auch hier hergekommen. Ich dachte, es würde alles klappen."
Zwangsvertreibung und soziale Strukturen
Seitdem Juan Sarmiento in Berlin lebt, fliegt er fast jedes Jahr einmal nach Kolumbien. Manchmal um dort Filme zu drehen. Dann bleibt er drei bis vier Monate. Manchmal nur um seine Familie zu besuchen, dann sind es zwei bis vier Wochen. Die Kamera ist seine älteste Leidenschaft. Heute steht er einerseits für andere Filmemacher hinter der Kamera. Andererseits führt er auch selbst Regie und macht Dokumentarfilme. "Die Dokumentarfilme sind mir wichtig, weil ich etwas zu sagen habe." Juan Sarmiento dreht sozialpolitische Dokumentarfilme, die in der Regel mit Kolumbien zu tun haben. Sein erster Film handelt von Zwangsvertreibungen (durch bewaffnete Konflikte, durch den Bau von Industrieanlage oder weil sich Leute "zu sehr" politisch engagieren). Sein nächster Film handelt von sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Klassen in Kolumbien.
Genuss der Privatsphäre
In Berlin gefällt ihm das kulturelle Angebot, seine Wohnung, das Leben mit seiner deutschen Freundin - die Privatsphäre. "Ich bin von Natur aus ein ordentlicher Mensch. Da kommt es mir entgegen, dass die deutsche Kultur ordentlicher ist als die kolumbianische." Aber er vermisst seine Familie und das Essen, vor allem die kolumbianischen Eintöpfe. In Kolumbien hat Sarmiento nur noch Kontakt zu ein, zwei Leuten seiner ehemaligen Schule. Aber durch die regelmäßige Filmarbeit im Heimatland hat er dort inzwischen neue Freunde kennen gelernt, ohne dass er von einem engen Freundeskreis reden will.
Aber nicht für immer…
In Kolumbien ähnelt die Situation der Filmemacher der in Deutschland. Ohne staatliche Förderung ist es sowohl hier als auch dort schwer, Filme zu realisieren. Aber in Deutschland gibt es mehr Förderungsmöglichkeiten, und die Branche ist professioneller. Das Leben als "Grenzgänger" kann er allen nur empfehlen. "Es ist die schönste Möglichkeit, Neues zu sehen und andere Kulturen zu erleben. Und meine Arbeit führt mich immer wieder auch in andere Länder. Ich mag Mexiko und Portugal, besonders Lissabon. Ich könnte mir vorstellen, in einem dieser Länder zu leben. Aber nicht für immer, nur für eine Weile."