Grenzkontrollen lassen Dänen kalt
7. Januar 2016Eine Seifenblase schwebt durch die Halle des Flensburger Bahnhofs, ganz im Norden Deutschlands, kurz vor der Grenze zu Dänemark. Die fünfjährige Raheb pustet einen neuen Schwall Seifenblasen in die Luft. Es ist kein Lachen, kaum eine Spur Kindheit im Gesicht des Mädchens. Vor drei Wochen floh sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden jüngeren Geschwistern vor dem Bürgerkrieg in Syien.
Auf diesen Moment hat die Familie fast ein Jahr gewartet, erzählt Rahebs Mutter Ruqia. Darauf, dass ihr Mann Asyl in Dänemark bekommt, um sie und die Kinder nachzuholen. Jetzt sind sie also in Norddeutschland, nur Minuten von der dänischen Grenze entfernt. Aber wegen eines neuen Gesetzes, das Dänemarks Regierung nur 24 Stunden zuvor in Kraft gesetzt hat, fürchtet Ruqia, dass ihre Kinder ihren Vater in dem skandinavischen Land so bald nicht sehen werden.
Dominoeffekt
Für tausende Flüchtlinge steht in diesen Tagen viel auf dem Spiel. Zunächst hatte Schweden strengere Grenzkontrollen an seiner Südgrenze eingeführt. Ein verzweifelter Versuch des Flüchtlingszustroms Herr zu werden. Am Montag ist Dänemark dem schwedischen Beispiel gefolgt.
Die Regierung in Stockholm hatte betont, sie habe die Notbremse ziehen müssen, angesichts der 160.000 Menschen, die in Schweden im vergangenen Jahr Asyl beantragt haben. Kein Land in Europa hat im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße so viele Flüchtlinge aufgenommen. In Dänemark hingegen beantragten lediglich 20.000 Menschen Asyl.
Dänemarks Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen verteidigt das Vorgehen seiner Regierung. Man habe "einfach auf die Entscheidung Schwedens reagiert", in deren Folge Dänemark zum Nadelöhr für Flüchtlinge wurde, die nach Nordeuropa wollen.
Vor 20 Jahren trat der Schengen-Vertrag in Kraft, der Reisepässe an Grenzen zwischen EU-Staaten unnötig macht. Einschließlich Dänemark haben jedoch mittlerweile sechs Länder der Europäischen Union das Abkommen zeitweise ausgesetzt. Experten warnen vor einen "Dominoeffekt". Wenn andere Schengenstaaten folgen, könnte dies das Ende eine der wichtgsten Errungenschaften der EU bedeuten.
Politisches Theater
Nach Ansicht von Thorsten Borring Olesen, Professor an der Universität Aarhus, ist Rasmussens Entscheidung Ausdruck eines politischen Spagats. Denn der Ministerpräsident ist Chef einer Minderheitsregierung, die auf die Unterstützung der einwanderungsfeindlichen Dänischen Volkspartei (DPP) angewiesen ist. "Auf der einen Seite verbeugt er sich symbolisch vor der DPP, auf der anderen Seite sind die Grenzkontrollen so zaghaft, dass sie weder Schengen, noch die dänische Industrie oder Deutschland bedrohen," sagt Olesen. "Es besteht kein Zweifel, dass die Grenzkontrollen hauptsächlich politisches Theater sind."
Allerdings kann der Ministerpräsident nicht darauf setzen, für seinen Balanceakt großartig Beifall zu bekommen. Allein in den vergangenen Wochen hat ihn das Bündnis mit der rechten Volkspartei, die Gefolgschaft einiger Parteimitglieder gekostet, die entweder zu anderen Parteien gewechselt oder öffentlichkeitswirksam ausgetreten sind. Besonders viel Ärger zieht die Ministerin für Einwanderung, Integration und Wohnen, Inger Støjberg, auf sich, die mit ihrer Anti-Einwanderungsrhetorik Kontroversen auslöste. Am Montag goss sie weiteres Öl ins Feuer: Støjberg brachte die Möglichkeit ins Gespräch, das Militär die Grenzen schützen zu lassen.
"Haltet die Terroristen draußen"
Aber es gibt nicht nur Kritik am Regierungschef. In der Kleinstadt Krusa kann man praktisch mit einem Bein in Dänemark und mit dem anderen in Deutschland stehen. Viele sind froh über die Polizisten, die hier seit Montag stationiert sind, um ungebetene Gäste draußen zu halten.
"Die dänische Regierung hätte niemals die Grenzen öffnen dürfen", sagt Gritt, eine Frau Ende fünfzig, die hier seit 30 Jahren einen Hotdog-Stand betreibt. "Wir wissen nicht mehr, wer über unsere Grenzen kommt", sagt sie. "Wenn durch Grenzkontrollen die Terroristen draußen bleiben, soll es so sein", sagt Gritt in Bezug auf die Befürchtung vieler Menschen in ganz Europa nach den Terroranschlägen von Paris.
An einer Bushaltestelle in der Nähe wartet die 67-jährige Ruth Jespersen auf den Bus nach Aarhus. Sie ist zögerlich. "Es scheint, als wäre es ein Rückschritt", sagt sie und fügt nach einer Pause hinzu: "Ich habe immer gesagt, wir müssen helfen, aber das hier ist zuviel. Und wenn es hilft, die Terroristen zu stoppen…"
Kein Schutz vor dem Bösen
Das Blutbad von Paris hat eine Wunde in Dänemark aufgerissen, die gerade anfing zu heilen. Denn im Februar hatte ein selbsternannter IS-Unterstützer in Kopenhagen um sich geschossen und dabei zwei Menschen umgebracht.
Für die gebürtige Deutsche Majbritt sind Grenzen allerdings kein Schutz vor dem Bösen. Sie lebt und arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten im Süden Dänemarks und sagt, die Grenzkontrollen seien wie ein Wiedererleben der 1980er Jahre und die Zeit des Kalten Krieges. "So lange das nur ein paar Tage dauert, ist das in Ordnung", finder sagt Majbritt. "Aber es kann nicht immer so bleiben. Wir müssen enger über die Grenzen hinweg arbeiten und sie nicht wieder aufbauen."
"Alles in Ordnung"
Im Moment glauben allerdings wenige, dass die Kontrollen ernsthaften Schaden anrichten werden. "Das ist alles politische Show", sagt Peter Hansen, Vorsitzender der grenzüberschreitenden Initiative Region Süd-Jütland-Schleswig, die die Dänisch-deutschen Beziehungen fördert und Geschäftsleute berät.
Die Entscheidung vom Montag habe auf beiden Seiten der Grenzen zwar für Konfusion gesorgt, sagt Hansen. Die größte Sorge der Pendler sei jedoch lediglich gewesen, wegen der Kontrollen zu spät zur Arbeit zu kommen. "Die Politiker spielen das vielleicht hoch, aber hier vor Ort ist alles in Ordnung."
Für tausende Flüchtlinge, die wie Flüchtlingskind Raheb und ihre Geschwister darauf warten wieder mit ihrer Familie vereint zu werden, ist es allerdings ein weiteres Hindernis auf ihrem Weg in ein besseres Leben.