Griechenland: In Piräus ist China der Boss
27. Oktober 2022Die hitzige Debatte, die derzeit in Deutschland über den Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco im Hamburger Hafen tobt, beobachtet man in Griechenland mit begrenztem Verständnis. Seit 2011 hat der griechische Staat unter dem Druck der Schuldenkrise und der Troika fast alle wichtigen Häfen und Flughäfen des Landes an ausländische Firmen verkauft. Im Jahr 2016 unterschrieb Athen den Vertrag mit Cosco, mit dem sich das chinesische Unternehmen eine Zweidrittelmehrheit am Hafen von Piräus sicherte.
Bis heute ist die griechische Regierung ziemlich zufrieden mit der Performance von Cosco im größten griechischen Hafen. "Die chinesische Investition in Piräus ist für beide Länder von Vorteil", sagte Premierminister Kyriakos Mitsotakis beim ersten Gipfeltreffen Chinas mit den 17 Ländern Mittel- und Osteuropas im Februar 2021. Als "beispielhaftes Projekt" beschrieb Chinas Präsident Xi Jinping die Investition von Cosco in Piräus. Er hatte den Hafen schon 2019 selbst in Augenschein genommen. Xi sieht Piräus als "einen wichtigen Knotenpunkt für die schnelle Land- und Seeverbindung zwischen China und Europa und für die Konnektivität zwischen Asien und Europa".
Tatsächlich haben die Chinesen den Hafen modernisiert: Inzwischen ist Piräus der größte Hafen im östlichen Mittelmeer und der siebtgrößte in Europa geworden. Die Arbeitsplätze sind sicher, die Arbeitsbedingungen sind weder besser noch schlechter als anderswo in Griechenland. Cosco bewegt sich innerhalb des Rahmens des griechischen Arbeitsrechts und unterliegt, wenigstens theoretisch, den Kontrollen der zuständigen Behörden - die allerdings nur selten stattfinden.
Trotzdem beschweren sich die Gewerkschaften in Piräus immer wieder über die Arbeitsbedingungen und drängen auf mehr Sicherheitsmaßnahmen, nachdem ein Hafenarbeiter vergangenes Jahr an einem Container-Pier tödlich verunglückt war. Anscheinend aber spürt Cosco - wie fast jeder große Arbeitgeber in Griechenland - keinen großen Druck seitens der zuständigen Kontrollbehörden.
Umschlagplatz für chinesische Produkte
Seit Cosco in Piräus eingestiegen ist, bringen die Schiffe des chinesischen Staatsunternehmens immer mehr Produkte in den Hafen, der zu einem der wichtigsten Umschlagplätze im Mittelmeer geworden ist. Für andere griechische Häfen ist das kein Problem, da sie nicht mit Piräus konkurrieren. Auf andere Umschlagplätze im südöstlichen Mittelmeer hat sich dies jedoch negativ ausgewirkt: Sie haben an Bedeutung verloren und Umsätze eingebüßt.
Ist also die chinesische Investition in Piräus eine Erfolgsgeschichte? Nur solange man keine Vision und kein Geld für eine eigene nationale Hafenpolitik hat, sagt Kostas Chlomoudis, Professor für maritime Studien an der Universität Piräus. Im Gespräch mit der DW erklärt er, dass das anderswo in Europa geltende Modell der Beteiligung der Privatwirtschaft an Häfen nichts mit der griechischen Praxis zu tun habe. In der EU werde ein Pier für eine bestimmte Anzahl von Jahren an ein privates Unternehmen vergeben, und oft gäbe es mehrere miteinander konkurrierende Firmen, die sich einen Container-Terminal teilen. In Griechenland sei die Situation völlig anders.
Piräus ist nicht Hamburg
In Piräus wurden die Mehrheitsanteile des Hafens an Cosco verkauft, zuerst 51, dann 67 Prozent. Die chinesische Reederei kann daher allein über die Zukunft des Hafens bestimmen. Cosco ist der Herr aller Piers und aller Terminals. "Der Verkauf des Hafens von Piräus an Cosco war in der Art und Weise, wie er durchgeführt wurde, ein tragischer Fehler'', meint Chlomoudis. Denn Piräus sei nun, im Gegensatz zu Hamburg, tatsächlich direkt von einem Drittstaat, nämlich China, abhängig.
Hinzu kommt, dass auch die Privatisierung des wichtigen Hafens von Alexandroupolis in Nordgriechenland ansteht. Dort werden wahrscheinlich die USA die Vorherrschaft übernehmen. Schon jetzt ist der Hafen ein wichtiger Umschlagplatz für amerikanische Waffenlieferungen. Damit seien grundlegende Infrastrukturen von erheblicher geostrategischer Bedeutung für die EU in der Hand von Drittstaaten, kritisiert Chlomoudis.
Brüssel sollte eingreifen
Der Professor aus Piräus ist sicher: Man braucht klare Regeln, welche Bedingungen in die Konzessionsverträge aufgenommen werden müssen, damit die nationale Sicherheit und die Sicherheit der EU nicht gefährdet werden. Die Vorgaben für Infrastrukturen von geostrategischer Bedeutung sollten EU-weit einheitlich sein. Und für die Häfen von Rotterdam, Hamburg und Piräus sollten die gleichen Vorgaben gelten.
"Wir brauchen eine gemeinsame europäische Politik", so Chlomoudis. "Die Kommission sollte das Problem, das in Deutschland gerade diskutiert wird, als Chance nutzen, um gemeinsame Vorgaben zur Wahrung europäischer Interessen gegenüber Drittstaaten zu schaffen."
Das Rezept der Privatisierung
Zur Erinnerung: Anfang des Jahrhunderts gab es in Europa nur ein magisches Rezept zur Lösung ökonomischer Probleme: die Privatisierung der Infrastruktur. Alles wollte man verkaufen: Häfen, Flughäfen, Wasser- und Energieversorgung. Das galt auch für Griechenland, das nach Investitionen hungrig war.
Die Chinesen waren die ersten, die sich sowohl für den Hafen von Piräus als auch für den Hafen von Thessaloniki interessierten. Doch damals wehrten sich die Belegschaften erfolgreich gegen die Übernahme. Erst 2009 konnte die damalige konservative Regierung von Kostas Karamanlis einen Teil des Containerterminals im Hafen von Piräus an Cosco vermieten.
Dann kam die griechische Staatsschuldenkrise im Jahr 2010. Einer der Bedingungen, die die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF für die Rettung der griechischen Wirtschaft stellte, war der Verkauf des öffentlichen Eigentums. So bekam Cosco die Mehrheit am Hafen von Piräus, da die Chinesen die einzigen waren, die damals investieren wollten.
Der Druck, alles zu privatisieren, führte auch zur Übernahme von 14 griechischen Flughäfen durch die deutsche Fraport, darunter auch der Flughafen von Thessaloniki. Fraport kann nun entscheiden, in welchen Flughafen zuerst investiert wird und in welchen nicht. Der griechische Staat hat nichts mehr zu sagen. Aber: Fraport ist im Gegensatz zu chinesischen oder amerikanischen Investoren ein EU-Unternehmen - und damit keine Firma, von der geopolitische Gefahr droht.