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Euro-Krise

16. September 2011

Bereits fünf Jahre vor Einführung des Euro warnte Martin Feldstein, die Gemeinschaftswährung könnte zu schweren Spannungen in Europa führen. Jetzt rät der Ökonom mehreren Ländern zum Austritt aus dem Euro.

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Bild: AP

Martin Feldstein ist einer der bedeutendsten US-Ökonomen. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Harvard University und war von 1982 bis 1984 Wirtschaftsberater von Präsident Ronald Reagan. Bis 2008 war Feldstein Chef des einflussreichen National Bureau of Economic Research. Von Präsident George W. Bush wurde er 2006 in das Foreign Intelligence Advisory Board berufen. Präsident Barack Obama berief Feldstein 2009 als Mitglied des Economic Recovery Advisory Board.

Deutsche Welle: In ihrem Artikel vom November 1997 prognostizierten Sie, dass die Europäische Währungsunion, die zur Einführung des Euros im Jahr 2002 führte, zu ernsten Konflikten innerhalb und außerhalb Europas führen könnte. Fühlen Sie sich angesichts der derzeitigen Krise bestätigt?

Martin Feldstein: Ich würde nicht von Bestätigung sprechen, aber ich bin sicherlich der Ansicht, dass der Artikel die Probleme auf politischer und wirtschaftlicher Ebene, die wir besonders in den letzten Jahren gesehen haben, aufgezeigt hat.

Können Sie für diejenigen, die ihren Artikel vielleicht nicht kennen, ihre These kurz beschreiben?

Es ist wahrscheinlich sinnvoll mit der wirtschaftlichen Perspektive statt der politischen zu beginnen. Das Problem, das ich sah - und das scheint sich zu bewahrheiten - ist, dass ein gemeinsamer Wechselkurs für so viele verschiedene Länder nicht funktioniert.

Die Leute damals verwiesen auf die USA und sagten, die Vereinigten Staaten sind ebenfalls ein Land mit sehr großen Unterschieden und sie haben ebenfalls eine gemeinsame Währung. Aber ich betonte, dass wir in den Vereinigten Staaten eine sehr geografisch mobile Arbeiterschaft haben, die dafür sorgt, dass wenn die Nachfrage in einer Region sinkt, die Menschen ganz einfach woanders innerhalb des Landes umziehen. Das ist natürlich schwerer in Europa mit seinen sprachlichen, gewerkschaftlichen und historischen Unterschieden. Außerdem haben wir einen viel flexibleren Arbeitsmarkt und die Löhne sind ebenfalls sehr viel flexibler in den Vereinigten Staaten.

Aber es wurde gehofft, dass dies sich in Europa als Folge der Schaffung der Währungsunion auch so entwickeln würde, was aber nicht der Fall war. Wir haben zudem ein Steuersystem, das automatisch Gelder zu denjenigen Staaten oder Regionen transferiert, in denen die Arbeitslosigkeit relativ hoch ist. All dies gibt es im europäischen Bereich nicht.

Außerdem hat jedes Land eigenständig die Möglichkeit, Steuern und Ausgaben zu bestimmen und damit auch Haushaltsdefizite zu generieren. Aber weil es eine gemeinsame Währung und Wechselkurs gibt, wird jetzt deutlich, - und das war vorhersehbar - dass ein Land in Euro Schulden machen kann und sofern es kein sehr großes Land ist, dies nur sehr geringe Auswirkungen auf den Zinssatz und den Wechselkurs hat. Das bedeutet: Es gibt keine Rückmeldung des Marktes darüber, dass das Leistungsbilanzdefizit oder das Haushaltsdefizit aus den Fugen gerät. Und das war natürlich der Knackpunkt der jetzigen Krise.

Was waren ihre politischen Probleme mit der Währungsunion?

Ich habe gesehen, dass die ganzen ökonomischen Probleme zu Unstimmigkeiten über die richtige Politik führen würden. Vor einiger Zeit war Deutschland wirtschaftlich relativ schwach und brauchte einen niedrigen Zinssatz. Gleichzeitig war aber ein niedriger Zinssatz falsch für Irland und Spanien und führte zu einem Immobilienboom.

Die EZB kann aber nur einen Zinssatz für die gesamte Region festlegen und angesichts der Schwäche in Deutschland und anderen normalerweise wirtschaftlich stärkeren Ländern und ihrem Grundsatz Europa als Einheit zu betrachten, musste es den Ländern, die einen niedrigen Zinssatz brauchten, mehr Gewicht geben. Als Folge bekamen Spanien und Irland größere Probleme.

Derzeit ist es natürlich genau umgekehrt und die EZB hält die Zinssätze hoch, um eine mögliche Inflation zu bekämpfen, während gleichzeitig einige Länder kein oder sogar negatives Wirtschaftswachstum haben.

Was die Probleme sogar noch vergrößert hat ist, dass Griechenland und Portugal, die jetzt die Hilfe der Europäischen Union brauchen, wenn eine Insolvenz vermieden werden soll, Hilfe von der EZB entgegen den Maastricht-Richtlinien brauchen. Und deswegen ist es keineswegs überraschend, dass viele Menschen in Deutschland gegen Maßnahmen ist, bei denen deutsches Geld an schwächere Länder verliehen wird. Und natürlich sind die schwächeren Länder wie Griechenland sehr aufgebracht darüber, dass sie ihren Gürtel enger schnallen müssen und Staatseigentum verkaufen sollen und so weiter. Die Schuld daran geben sie denjenigen, die ihnen helfen, also Deutschland und anderen.

In ihrem Artikel erwähnen sie die sehr unterschiedlichen Traditionen der Deutschen, die aus historischen Gründen eine sehr starke Währung und Preisstabilität wollen und anderen Europäern, die diese Ziele nicht teilen, als eine große Hürde für eine gemeinsame Währung. Trifft dies immer noch zu und können diese Probleme gelöst werden?

Ich glaube, dies trifft immer noch zu. Deshalb hören sie die Rufe die EZB solle die Zinsen senken, während Deutschland sehr an Preisstabilität interessiert ist und auch gewillt ist dafür hohe Zinsen in Kauf zu nehmen.

Europas Krise hat jetzt auch zu einem Streit innerhalb der deutschen Regierung geführt. Während der Vizekanzler und Wirtschaftsminister erstmals sagte, dass eine Debatte über eine Insolvenz Griechenlands kein Tabu sein sollte, wurde er dafür von der Bundeskanzlerin kritisiert. Wer hat ihrer Ansicht nach Recht? Und wie beurteilen Sie Deutschlands Krisenmanagement?

Ich denke die wichtigste Tatsache ist, dass Griechenland zahlungsunfähig werden wird. Es gibt keine Möglichkeit, wie Griechenland es sich leisten kann, seine Schulden zu bedienen, insbesondere mit den von Märkten verlangten Zinssätzen.

Der Deal, über den derzeit verhandelt wird, wobei Privatbesitzer von griechischen Anleihen ihre Bonds eintauschen sollen ist faktisch eine Zahlungsunfähigkeit. Sie werden 80 Cent je Dollar bekommen und damit einen zwanzigprozentigen Wertverlust ihrer Anleihe in Kauf nehmen. Aber ich glaube das ist nur der Anfang. Ich denke, es wird noch viel größere Fälle von Zahlungsunfähigkeit geben, weil Griechenland es nicht schaffen wird.

Was Deutschland betrifft: Ich denke Deutschland hat versucht sich an das ursprüngliche Konzept des Euro und die Maastricht-Kriterien zu halten und herausgefunden, dass wenn es das tut, Länder wie Griechenland und vielleicht andere zahlungsunfähig werden. Deshalb wird Deutschland gedrängt eine aktivere Rolle zu spielen, die EZB einzusetzen und die Stabilitätsfonds zu unterstützen, um diesen an der Peripherie liegenden Ländern zu helfen. Aber Deutschland übernimmt nicht die Führung dabei, weil meiner Ansicht nach die deutsche Öffentlichkeit nicht in die Richtung gehen will, in die die Märkte Deutschland drängen.

Wie kann diese Krise gestoppt werden und was vielleicht noch wichtiger ist, wer kann sie stoppen?

Ich bin nicht sicher, ob die Krise gestoppt werden kann, weil ich denke dass Griechenland zahlungsunfähig wird. Und wenn das passiert, werden die Menschen sagen, dass das tragisch und schmerzhaft ist, aber ich denke nicht, dass das stimmt. Wir haben Insolvenzen in vielen Ländern der Welt gehabt und es hilft ihnen ihre Bilanzen zu säubern und die Höhe der Schulden ist danach nicht mehr so dramatisch.

Aber ich glaube, dass dies dann zu einer Zahlungsunfähigkeit von Portugal führen wird. Wir wissen nicht genau, wie schlimm die Situation von Italien und Spanien ist. Man bekommt keine ehrliche Analyse der Haushaltslage, der Zukunftsaussichten und der Banken in beiden Ländern.

Sollte Griechenland den Euro verlassen - ist das ein Schritt, den Sie begrüßen würden?

Ich glaube, es wäre im Interesse Griechenlands. Denn selbst, wenn die Schuldensituation vorübergehend gelöst würde und sie durch die Hilfe von anderen und durch ihr eigenes Tun eine komplette Zahlungsunfähigkeit vermeiden, stellt sich die Frage, was dann passiert. Griechenland ist seit Jahren nicht in der Lage einen Leistungsbilanzüberschuss zu erwirtschaften und das Land verfügt nicht über Produktivitätssteigerungen und Wachstum wie Deutschland. Wie können Sie dann wettbewerbsfähiger werden?

In einer Wirtschaft mit einem freiem Wechselkurs und der Möglichkeit seinen Wechselkurs anzupassen und auf den Markt zu reagieren, würde der griechische Wechselkurs auf Dauer sinken und das würde griechische Waren produktiver machen. Aber mit einem festen Euro-Wechselkurs können die Griechen nichts dergleichen tun.

Sie waren schon immer ein Euro-Skeptiker, glauben Sie, dass es den Euro in fünf Jahren noch geben wird?

Das ist sehr schwer zu sagen. Aber ich glaube das wahrscheinlichste Szenario ist, dass der Euro selbst überleben wird, aber dass einige der Länder den Euro verlassen werden und wieder ihre eigenen Währungen einführen werden. Ich habe schon in der Vergangenheit vorgeschlagen, dass Griechenland eine vorläufige Auszeit nehmen sollte, in dem Sinne, dass es mit den anderen Euroländern vereinbart, wieder zu - nennen wir es der "neuen Drachme" - zurückzukehren und versucht seine Dinge in Ordnung zu bringen.

Und sobald die Perspektiven gut und Griechenlands Schuldenstand und Defizit niedriger ist, dann können sie sich wieder um eine Mitgliedschaft bewerben. Man könnte das Prinzip sicherlich auch auf Portugal und möglicherweise auch auf andere Länder übertragen.

Zum Schluss eine Prognose: Wie wird Europa wirtschaftlich und politisch in fünfzehn Jahren aussehen?

Ich bin nicht sicher, ob ich trotz der netten Dinge, die Sie über meine Prognosefähigkeiten gesagt haben, dazu in der Lage bin. Aber ich glaube, was wir wahrscheinlich erleben werden ist, dass diejenigen Länder, die jetzt noch in der Währungsunion sind, nicht mehr alle dabei sein werden. Und ich wäre überrascht, wenn Europa ein Steuersystem wie in den Vereinigten Staaten einführen würde, bei dem es eine zentrale Steuerbehörde gibt, die Steuersätze festlegt und dementsprechend auch viel Geld zwischen den europäischen Staaten verteilt.

Das Interview führte Michael Knigge
Redaktion: Rob Mudge