Großbritannien stellt sich China entgegen
3. Juni 2020In einem Gastbeitrag in den Zeitungen "Times" und "South China Morning Post" schrieb der britische Premierminister Boris Johnson an diesem Mittwoch, wenn das chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong komme, werde er die Menschen in der ehemaligen britischen Kronkolonie nicht allein lassen. Führe China das umstrittene Gesetz tatsächlich ein, widerspreche das den Abmachungen, die beide Seiten 1997 bei der Übergabe Hongkongs an China getroffen hätten. London werde dann die Einwanderung für Menschen mit "British National Overseas"-Status vereinfachen.
Zuvor hatte bereits Außenminister Dominic Raab an die chinesische Regierung appelliert, ihr Vorgehen in Hongkong zu überdenken. Peking müsse "Hongkongs Autonomie und Chinas eigene internationale Verpflichtungen respektieren". Auch andere britische Politiker übten Kritik am sogenannten Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit, für das Chinas Volkskongress jüngst den Weg geebnet hat.
Der Ton zwischen Großbritannien und China ist ein ganz anderer als noch vor wenigen Jahren. Während Großbritannien etwa bei den Regenschirm-Protesten 2014, als Hunderttausende für freie Wahlen in Hongkong demonstrierten, noch bemüht gewesen sei neutral zu bleiben, habe sich die Haltung zuletzt geändert, erklärt Tim Summers von der britischen Denkfabrik Chatham House.
Seit dem Beginn der Massenproteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone gegen die pekingnahe Administration unter Carrie Lam im vergangenen Jahr "erstattet die britische Regierung gegenüber dem Parlament regelmäßig über die Situation in Hongkong Bericht, und sie hat sich bei vielerlei Anlässen kritisch zu Pekings Handeln geäußert", so Summers.
Anstoß für die Proteste 2019 war ein geplantes Gesetz, das unter anderem die Auslieferung von Häftlingen an China ermöglichen sollte. Der Übergang zu den aktuellen Protesten gegen das im Mai von Chinas Kommunistischer Partei angekündigte Sicherheitsgesetz war gewissermaßen fließend. Das Gesetz umgeht Hongkongs Parlament und richtet sich gegen Aktivitäten, die als subversiv oder separatistisch angesehen werden. Es hat wegen der befürchteten Beschneidung von Bürgerrechten in Hongkong Kritik in vielen Ländern auslöst, etwa auch in den USA.
Wie soll die Einbürgerung von Hongkongern funktionieren?
Derzeit besitzen bereits etwa 350.000 Hongkonger einen sogenannten Pass britischer Bürger im Ausland (BNO), weitere 2,5 Millionen hätten einen Anspruch darauf. Der Status als britische Bürger im Ausland stammt aus der Zeit vor der Übergabe an China am 1. Juli 1997, als Hongkong noch britische Kronkolonie war. Er betrifft nur bis zu diesem Datum geborene Hongkonger.
Der entsprechende Reisepass ermöglicht, sich bis zu sechs Monate lang ohne Visum in Großbritannien aufzuhalten. Nach den Worten von Johnson sollen künftig zwölf Monate Aufenthalt gewährt werden - mit der Möglichkeit einer Erneuerung. Auch sollen Hongkonger mit einem BNO-Pass eine Arbeitserlaubnis und erweiterte Einwanderungsrechte bekommen, womit der "Weg zur Staatsbürgerschaft" frei sei. Johnsons Ankündigungen für den Fall, dass Chinas nationales Sicherheitsgesetz in Kraft tritt, würden eine Änderung des britischen Einwanderungsgesetzes bedeuten, die mehr als ein Drittel der gut 7,5 Millionen Bewohner Hongkongs betreffen würde.
Wie reagiert China?
China hat die Pläne Großbritanniens, Hongkongern die Einbürgerung zu erleichtern, scharf kritisiert und droht mit "Gegenmaßnahmen". "Alle Landsleute, die in Hongkong wohnen, sind chinesische Staatsbürger", betonte ein Außenamtssprecher. Eine Einmischung werde für London "definitiv nach hinten losgehen", hieß es. "Wir raten Großbritannien, vom Abgrund zurückzutreten, die Mentalität des Kalten Krieges und die koloniale Denkweise aufzugeben." London solle respektieren, dass Hongkong nicht mehr Teil Großbritanniens ist.
Tim Summers, der am Zentrum für Chinastudien der Chinesischen Universität in Hongkong doziert, sagt, es sei unklar, was Peking mit "Gegenmaßnahmen" konkret meine. Großbritanniens Schwachpunkt könnten allerdings die engen wirtschaftlichen Bande zwischen den beiden Ländern sein. "Britische Exporte nach China sind 2019 schneller gewachsen als die Exporte in irgendeine andere Weltregion", sagt der Sinologe. Zudem seien Großbritannien und andere Länder auch bei vielen globalen Fragen auf eine Kooperation mit China angewiesen, das Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist.
Kein Wendepunkt für britisch-chinesische Beziehungen
Der Streit um Chinas Sicherheitsgesetz und Großbritanniens Ankündigung einer vereinfachten Einbürgerung von BNO stellt für die bilateralen Beziehungen eine große Belastung dar - Summers erwartet, dass sich dies in den kommenden Monaten noch verschärfen könnte. Denn es sei unwahrscheinlich, dass sich China bei der Umsetzung des umstrittenen Sicherheitsgesetzes von Einwänden Großbritanniens oder anderer Länder beirren lasse.
Von einem Wendepunkt in den Beziehungen möchte der Experte jedoch nicht sprechen. Auf lange Sicht, so glaubt er, werden sie sich wieder entspannen - denn es gebe außer Hongkong noch andere wichtige Themen zwischen Großbritannien und China: "Angesichts Pekings globaler Wichtigkeit wird man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen." Ob von den Hongkongern mit BNO-Status viele Gebrauch von Großbritanniens angekündigten vereinfachten Einbürgerungsmöglichkeiten machen, wird wohl auch maßgeblich davon abhängen, wie sehr das Sicherheitsgesetz tatsächlich ihre Freiheiten beschneidet.