Die Rolle der USA in Haiti
28. Januar 2010Das US-amerikanische Engagement für Haiti gehört zu den Konstanten der Geschichte dieses Landes, das 1804 dem Vorbild der Vereinigten Staaten folgte und sich als zweite Kolonie vom europäischen Kolonialjoch befreite. Zwar dauerte es noch 58 Jahre, bis die USA die Unabhängigkeit Haitis anerkannten, aber seitdem hat Washington stets unter zum Teil massiver Einmischung die Geschicke des Karibikstaates zu beeinflussen versucht.
Die mehr als 10.000 US-Soldaten, die derzeit für die Überlebenden des schweren Erdbebens humanitäre Hilfe leisten, sind in Haiti vertraute Gesichter. Zuletzt kamen die US-Marines 2004 ins Land, als Präsident Jean–Bertrand Aristide nach gewaltsamen Unruhen infolge von Korruption und Machtmissbrauch von einer multinationalen Interventionstruppe aus dem Amt gedrängt wurde. Zehn Jahre zuvor waren im September 1994 ebenfalls US-Marinesoldaten in Port-au-Prince gelandet, als Washington die regierende Miltärjunta zugunsten des damals noch wohl gelittenen Aristide aus dem Amt jagte.
Barmherzigkeit und Eigeninteresse
Damals wie heute reagierten die USA aus einem komplizierten Geflecht von Eigeninteressen und humanitären Beweggründen, die das reichste und ärmste Land der westlichen Hemisphäre in einer Art Hassliebe miteinander verbindet. Oliver Gliech, Haiti-Experte beim Lateinamerika-Institut der FU Berlin, attestiert den USA durchaus barmherzige Motive, betont aber auch, dass "die Entscheidung der Regierung Obama auch auf die eigene Wählerschaft zielt." Man dürfe nicht vergessen, dass Obamas Vorgänger Bush bei der Flutkatastrophe in Louisiana (2005) versagt hatte. "Viele der damaligen Opfer waren Schwarze, die natürlich zur Wählerschaft des amtierenden US-Präsidenten gehören."
Hinzu komme die Befürchtung, ein allein gelassenes Haiti könne sich neben Mexiko zu einem zentralen Drogen-Umschlagsplatz für den amerikanischen Kontinent entwickeln. Das kann keinem US-Amerikaner behagen. Vor allem Linke unterstellten den USA in der Vergangenheit immer gleich auch neokoloniale Motive, was angesichts der langen Geschichte von Putschversuchen und Invasionen auf dem lateinamerikanischen Kontinent durchaus plausibel erscheinen mag. Allerdings gibt es auf Haiti keine nennenswerten Rohstoffe und seit dem Ende des Kalten Krieges sind auch strategische Interessen kaum mehr von entscheidender Bedeutung.
Willkommene Hilfe
Bei den Menschen auf Haiti jedenfalls ist die aktuelle Hilfe willkommen, zumal Haiti seine eigene Armee aufgrund der leidvollen Erfahrung, die man mit ihr gemacht hat, de facto abgeschafft hat. "Es gibt nur Polizeikräfte und keine Macht, die über die technischen Möglichkeiten verfügen würde, um in einer solchen Naturkatastrophe angemessen zu reagieren", sagt Haiti-Experte Oliver Gliech. "Das betrifft sowohl schweres technisches Gerät für die Beseitigung von Trümmern als auch die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande. Schließlich war die Polizei Haitis vom Erdbeben auch betroffen und gar nicht mehr in den Straßen präsent. Da konnte das US- Militär natürlich am schnellsten die Lücke schließen."
Einfluss bei IWF und Weltbank
Ging es bei den bisherigen Interventionen der USA immer auch um einen politischen Wechsel, um dem Land zu mehr Stabilität zu verhelfen, muss Haiti jetzt als funktionierendes Staatswesen komplett wieder aufgebaut werden. Das wird nur mit großzügiger Finanzhilfe der USA und der internationalen Staatengemeinschaft gehen. Wenn die zerstörte Karibikinsel aus den Schlagzeilen der Weltnachrichten verschwunden und die private Spendenflut versiegt ist, müssen vor allem die Bretton-Woods-Organisationen nachhaltig helfen. Auch hier werden die USA ihren Einfluss geltend machen. Und auch das hat für die USA Tradition. So gewährte der Internationale Währungsfonds (IWF) Haiti auf Drängen der USA im vergangenen Jahr einen Schuldenerlass in Höhe von 1.2 Milliarden Dollar.
Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Esther Broders