Wahl Berlins gilt als Ausdruck des Vertrauens
23. Oktober 2013Erstmals überhaupt will die Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) ihre Mitgliederversammlung in der deutschen Hauptstadt abhalten. Zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 kommen mehr als 200 orthodoxe Rabbiner aus 33 Ländern Europas nach Berlin. Dies sagte der CER-Vorsitzende, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Deutschen Welle. Der gemeinsame Besuch zu diesem Anlass sei "ein Vertrauensbeweis in eine jüdischen Zukunft in Deutschland", so der Geistliche.
Goldschmidt forderte die Staaten Europas entschieden zu religiöser Toleranz auf: "Ein neuer militanter Säkularismus, verbunden mit Antisemitismus und Islamfeindlichkeit bedeutet eine Gefahr für ein künftiges vereintes Europa." Die Religionsfreiheit dürfe nicht eingeschränkt werden. Zu den Themen bei der Mitgliederversammlung zählt die drohende Beschränkung religiöser Grundrechte in der Gegenwart.
Gegen Einschränkung religiöser Rechte
Im Rahmen der Beratungen wollen unter anderen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, zu den Rabbinern sprechen. Der Innenminister ist innerhalb der Bundesregierung für den Kontakt zu den Religionsgemeinschaften zuständig.
Die Rabbiner kommen vom 8. bis 12. November in Berlin zusammen. Im Mittelpunkt steht ein Gedenken an die Pogrome von 1938, das in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte stattfinden soll. Dort befindet sich seit 2009 wieder das orthodoxe Rabbinerseminar zu Berlin, das 1873 gegründet und kurz nach dem 10. November 1938 schließen musste. Zu der Mitgliederversammlung unter dem Titel "Die Familie – der Rabbiner – die Gemeinschaft" werden weitere Rabbiner aus aller Welt erwartet, darunter die beiden führenden Repräsentanten in Israel, der sephardische Oberrabbiner Yitzchak Yosef und sein aschkenasischer Kollege David Lau.
Wahl Berlins ist Ausdruck des Vertrauens
Der gebürtige Züricher Pinchas Goldschmidt erinnert mit Blick auf das Berliner Treffen an seine eigene Familiengeschichte. Sein eigener Großvater habe in der Bildungseinrichtung, die nach ihrem Gründer Esriel Hildesheimer auch Hildesheimersches Rabbinerseminar genannt wurde, studiert. Vor der Shoah lernten dort bis zu 600 Studiernde aus ganz Europa.
Seine Großmutter, so der CER-Präsident weiter, sei "einige Wochen nach der Kristallnacht" aus der Schweiz nach Frankfurt gereist, um Kinder aus dem dortigen jüdischen Waisenhaus in die Schweiz zu holen und so in Sicherheit zu bringen. "Die Kristallnacht" – Goldschmidt verwendet den deutschen Begriff auch im Englischen – "war der Anfang vom Ende." Der jetzige Besuch erinnere an diese Vergangenheit und sei zugleich Ausdruck des Vertrauens.
Bei den vom nationalsozialistischen Regime organisierten Novemberpogromen von 1938 kam es im gesamten Deutschen Reich zu Gewalt gegen Juden und jüdische Einrichtungen. So brannten in der Nacht auf den 10. November zahlreiche Synagogen und Betstuben, jüdische Geschäfte wurden demoliert und geplündert, Friedhöfe entweiht. Weit über 100 jüdische Deutsche wurden ermordet, rund 30.000 wurden in Konzentrationslager verschleppt. Das Pogrom wurde auch "Reichskristallnacht" genannt.
Der Zentralrat der Juden spricht von einem bemerkenswert wichtigen Ereignis, wenn erstmals nach der Shoah die Mitgliederversammlung der ERC ihre Jahrestagung in Berlin abhalte. Das zeige deutlich, "dass wir, was jüdisches Leben angeht, auch in der Außenansicht in einer Normalität angekommen sind", sagte Vizepräsident Josef Schuster der Deutschen Welle. Vor fünf Jahren zählten bei einer Feierstunde in der größten Synagoge Deutschlands in der Berliner Rykestraße Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die damalige Zentralrats-Präsidentin Charlotte Knobloch zu den Rednern.
Goldschmidt, der seit mehr als 20 Jahren in Russland tätig ist und als Oberrabbiner von Moskau das Judentum in Russland vertritt, hatte im Sommer 2012 im Zuge der Debatte um die religiös motivierte Beschneidung mit 30 weiteren orthodoxen Rabbinern Deutschland besucht. Damals warnten sie vor einer Einschränkung religiöser Freiheiten in Deutschland. Insgesamt gehören der CER mehr als 400 Rabbiner an.
Wieder jüdische Vielfalt in der deutschen Hauptstadt
Das anstehende Großtreffen der orthodoxen europäischen Rabbiner verweist zugleich auf die in den vergangenen Jahren wiedererwachte jüdische Vielfalt gerade in der deutschen Hauptstadt. So befinden sich dort in verschiedenen Stadtbezirken mittlerweile Ausbildungseinrichtungen für orthodoxe, ultraorthodoxe und liberale Rabbiner.
Im Umfeld des Jahrestages der Novemberpogrome gibt es in Berlin und zahlreichen deutschen Städten Gedenkveranstaltungen. Zudem steht im Berliner Congress Center am Alexanderplatz der "3. Deutsche Israelkongress 2013" an. Dazu werden nach Angaben der Veranstalter, die eine Vertiefung der bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland erreichen wollen, rund 3.000 Teilnehmer erwartet. Die Schirmherrschaft haben der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman, der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, sowie die Verlegerin Friede Springer übernommen.