Ground Zero
9. September 2002New York, 6.9.2002
Die 65.000 Quadratmeter große und sechs Stockwerke tiefe Grube ist die Besucherattraktion in New York. Für drei deutsche Touristen aus Velbert , die ich auf der Aussichtsplattform treffe, gehört Ground Zero ganz selbstverständlich zum Programm. Bis vor einigen Tagen mussten sogar kostenlose Eintrittskarten ausgegeben werden. So groß war der Andrang. Irgendjemand hat ausgerechnet, dass die verschwundenen Zwillingstürme mehr Neugierige anlocken als die intakten Türme.
Viele Menschen stehen fassungslos am Maschendrahtzaun. "Noch größer als im Fernsehen!", höre ich oft. Still, mit einem Taschentuch in der Hand und mit großer Sonnenbrille, um die Tränen zu verbergen, stehen einige Angehörige von Opfern am Rand des Kraters, in dem das World Trade Center stand. Besucher, die in der Sommerhitze schwarz tragen, werden von den zahlreichen Reportern angesprochen, in der Hoffnung, dass es sich im trauernde Hinterbliebene handelt, die ihre Geschichte noch einmal in die Kamera erzählen könnten. Die meisten lehnen ab. Ein norwegischer Kollege findet nichts dabei: "Witwenschütteln gehört zum Geschäft."
Der Lärm an Ground Zero ist ohrenbetäubend. Mit Presslufthämmern werden die Fundamentanker, die letzten Reste der Türme geschleift. Sie waren mit Stahlseilen im Fels von Manhattan verankert. Wie durchtrennte Adern ragen leere U-Bahn-Röhren in die Grube. 100.000 Lastwagenladungen Schutt sind abgefahren worden. In den gründlich gesiebten Trümmern fand man 19.858 Leichenteile. Nur ein Viertel konnte bislang identifiziert werden. Dass die Hinterbliebenen oft nichts hätten, was sie beerdigen könnten, finde sie am schlimmsten, sagt eine Besucherin aus Missouri, Jane Beckett. Sie empfinde auch ein Jahr danach noch immer Wut, eine diffuse Wut, weil sie keine Antwort auf die Frage wisse: "Warum richten Menschen so etwas an?"