Großbritannien muss sich entscheiden
17. Oktober 2012Der britische Ton Richtung EU wird schärfer: Unter dem wachsenden Druck rechtsgerichteter Kräfte innerhalb seiner Partei hat der britische Premierminister David Cameron erneut angedeutet, er wolle ein Referendum über die Beziehung seines Landes zur Europäischen Union abhalten. Zwar ginge es nicht um den Austritt Großbritanniens aus der EU, aber Cameron zufolge mische sich die Union zu stark in nationale und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten ein. Britische Euroskeptiker sehen in dem Referendum eine Chance, bereits an Brüssel abgegebene Macht zurückzugewinnen - und sich aus finanziellen Verpflichtungen, die mit der Eurokrise einhergehen könnten, herauszuwinden. Während des Parteitags seiner Konservativen Partei vergangene Woche und in einem BBC-Interview drohte Cameron damit, die EU-Budgetverhandlungen zu blockieren, falls die anderen EU-Staaten nicht einer "angemessenen Ausgabenkontrolle" zustimmten - also die Ausgaben zu stark stiegen. Er sprach auch davon, dass man zukünftig zwei Haushalte brauche, einen für die Euroländer und einen für die Staaten, die nicht in der Eurozone sind - wie Großbritannien. Beobachter fragen sich nun, ob derartige Worte andere Mitgliedstaaten vor den Kopf stoßen könnten - etwa auf dem EU-Gipfeltreffen am 18. und 19. Oktober. Dort sollen vor allem Vorschläge für eine Finanzunion diskutiert werden.
Unmut in Brüssel
"Es herrscht der Eindruck vor, dass Großbritannien sich aus dem Geschehen innerhalb der Eurozone heraushalten möchte und nur für mehr Integration ist, solange sie nicht das eigene Land betrifft", sagte Vivien Pertusot, der Vorsitzende des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (IFRI) in Brüssel. Dies könne für Verärgerung sorgen - beispielsweise auf französischer Seite, auch wenn die Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich unter François Hollande bislang "freundschaftlich" gewesen seien. Kritiker warnen, dass Großbritannien sich bei Diskussionen über die Zukunft der EU selbst ins Abseits katapultieren könnte.
Marco Incerti vom Zentrum für Europäische Politische Studien (CEPS) glaubt, Camerons Bemerkungen würden in Brüssel kaum jemanden überraschen. "In Brüssel ist nicht plötzlich Panik ausgebrochen. Die Sorgen bestehen dort bereits seit einer ganzen Weile", sagte Incerti im Gespräch mit der DW. Und sie nähmen zu, je mehr sich die empfundene Distanz zwischen London und Brüssel vergrößere.
James Elles, Mitglied der Konservativen Partei und langjähriger Abgeordneter des Europäischen Parlaments, verweist jedoch darauf, dass Cameron seine Bemerkungen auf dem Parteitag der Konservativen gemacht hat - bei dem ein bedeutender Anteil der Delegierten gegenüber der EU eher feindselig eingestellt ist. "Ich glaube, die meisten Leute verstehen, dass Cameron diesen schärferen Ton nur zur Besänftigung seiner eigenen Partei angeschlagen hat", sagte Elles im Gespräch mit der DW.
Großbritannien bleibt einflussreich
Marco Incerti vom CEPS sieht nicht die Gefahr, dass die europafeindlichen Töne der britischen Regierung den Einfluss des Landes in der EU schmälern. "In Großbritannien gibt es zwar das Empfinden, dass Brüssel Westminster und Großbritannien Regeln aufoktroyiert, die irgendwie aus dem Nichts zu kommen scheinen", sagte Incerti, "aber das Vereinigte Königreich hat durch seine Vertreter in Brüssel in Wirklichkeit nichts an Einfluss verloren." Aufgrund der besonderen Rolle Londons als Finanzzentrum Europas werde das Land ein "unvermeidbarer Mitspieler" bleiben, wenn es um Angelegenheiten der Finanzwelt ginge. Ein Referendum würden zudem viele in Brüssel begrüßen, da dadurch viele Dinge geklärt werden könnten.
Für Incerti wird es höchste Zeit, dass Großbritannien eine Entscheidung trifft: Entweder das Land will in der EU bleiben. Dann müsse es sich auch stärker für die Union einsetzen. Oder es will austreten. Aber dann sollte es auch zu seiner Entscheidung stehen. Die britische Position wird wohl auf dem EU-Gipfel diese Woche auf den Prüfstand gestellt.
Im vergangenen Dezember hatte der Premierminister bereits mit seiner Blockade des EU-weiten Fiskalpakts zur Rettung der Eurozone für Unmut gesorgt. Das Abkommen kam trotzdem zustande - auch ohne die Zustimmung Großbritanniens.