Großbritannien setzt auf Schiefergas
14. November 2014Großbritannien, sagte der britische Premierminister David Cameron im Januar dieses Jahres, setze nun "ganz auf Schiefergas". Die Förderung in der Nordsee lässt nach und Großbritannien muss seit ungefähr zehn Jahren Öl und Gas wieder importieren. Daher nimmt die Regierung nun die eigenen Schiefergasvorkommen für die Öl- und Gasgewinnung in den Blick.
Die Londoner Regierung schätzt, dass die Schiefergas-Industrie rund 64.500 Arbeitsplätze schaffen könnte. Noch befindet sich die Industrie im Erkundungsstadium, hauptsächlich im Norden Englands. Das Amt für Bodenforschung schätzt, in dieser Gegend könnten rund 400 Billionen Kubikmeter Schiefergas zu finden sein.
Aus der Vergangenheit gelernt?
Angesichts der Tatsache, dass das Unternehmen noch in den Anfängen steckt und dass die Gasgewinnung durch "Fracking" umstritten ist, scheint das Vorhaben, schon jetzt einen staatlichen Fonds einzurichten, der von den Einnahmen der Schiefergasförderung profitiert, ein wenig voreilig.
Lord Hodgson of Astley Abbotts jedoch, konservatives Mitglied des Oberhauses, will das Vorhaben schon jetzt auf den Weg bringen. Der DW sagte er: "Wir müssen Wege finden, dass alle von diesen endlichen Ressourcen profitieren. Auch kommende Generationen müssen ihren Anteil an den Einnahmen haben."
"Schließlich", fügte er hinzu, "ermahnt uns die Regierung ständig, selbst für unsere Alterssicherung vorzusorgen. Ab und an sollten sich Regierungen an ihre eigenen Ermahnungen halten."
Lord Hodgson will einen Zusatz zum britischen Infrastrukturgesetz durchsetzen, der zu Einrichtung eines Staatsfonds verpflichtet. Dieser soll aus den Einnahmen der Schiefergasproduktion gespeist werden. "Die Regierung unterstützt das Konzept aus ganzem Herzen. Der Finanzminister hat sich verpflichtet, das Konzept in seinem Herbstbericht zu erwähnen und nach den Wahlen im Mai einen Gesetzentwurf vorzulegen", so Lord Hodgson.
Tatsächlich sagte Finanzminister George Osborne in der vergangenen Woche in einem BBC-Interview, solch ein Fonds könne dafür sorgen, "dass das Geld nicht einfach verschwendet wird".
Kurz nachdem in den 1960er-Jahren Öl und Gas aus den Quellen in der Nordsee zu sprudeln begannen, war bereits über einen solchen Staatsfonds nachgedacht worden, ohne dass er umgesetzt wurde. Das Ergebnis: Viele Menschen haben den Eindruck, die Einnahmen seien verschwendet worden, ohne dass nachfolgende Generationen daran teilhaben können.
Beispiel Norwegen?
Lord Hodgons Plan sieht vor, die Hälfte dessen, was die Regierung aus der Schiefergasproduktion einnimmt, in einen Fonds einzuzahlen, aus dem jährlich nur maximal vier Prozent entnommen werden dürfen. Weitere Details sind bislang nicht ausgearbeitet.
Das Beispiel für diesen Plan findet sich in Norwegen und dessen "Regierungs-Pensionfonds" (GPFG), der inzwischen einen Wert von 716,4 Milliarden Euro hat. Der Fonds, für den letztlich der Finanzminister in Oslo verantwortlich ist, ist nicht nur zum größten Staatsfonds der Welt angewachsen, er gilt auch als Beispiel für ausgezeichnete Unternehmensführung.
"Bis zur internationalen Finanzkrise interessierte sich kaum jemand für den GPFG. Anschließend aber dachten auch andere Regierungen über die Einrichtung solcher Staatsfonds nach und orientierten sich am norwegischen Modell: An seiner Größe, seiner Transparenz und seiner vorbildlichen Unternehmensführung", schreibt der Präsident des Fonds, Michael Maduell, in einer Mail an DW.
Maduell glaubt zwar nicht, dass der geplante Fonds im Vereinigten Königreich einmal so groß werden könnte wie sein Vorbild in Norwegen. Aber in Hinsicht auf "Management und Stil" könnte er es ihm gleich tun. Maduell weist darauf hin, dass der Finanzplatz London schon jetzt "Heim vieler Staats- und Pensionsfonds" ist.
"Würde ich die Regierung in London beraten", so Maduell, "würde ich den wahren Zweck des Fonds unterstreichen, für klare Auszahlungsregeln sorgen und auf eine gesunde und starke Unternehmensführung achten. Nötig ist ein unabhängiges Management, das frei bleiben muss von Anlageberatern."
Lord Hodgson hält das norwegische Modell für "interessant", doch könne man es nicht eins zu eins übernehmen: "Norwegen hat nur ein Zehntel der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs. Gleichzeitig verfügt das Land über große Reserven an Öl und Gas."
Warum gerade Gas?
Gas im sogenannten Fracking-Verfahren aus Schiefer zu gewinnen, ist wegen möglicher Gefahren für die Umwelt umstritten. Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien unter hohem Druck in Schiefergestein gepresst. Das Gestein wird aufgebrochen und entlässt das in ihm gespeicherte Gas. Umweltaktivisten befürchten ein Vergiftung des Grundwassers und Luftverschmutzung, Befürworter der Technik halten die Bedenken für übertrieben.
Andere Kritiker weisen darauf hin, dass die Gasgewinnung nicht vor 2020 beginnen könnte. Daher sei es "unwahrscheinlich, dass die Schiefergasgewinnung die Abhängigkeit von Importen verringern könnte oder einen merklichen Einfluss auf den Gaspreis haben wird", wie es in einem Bericht des "UK Energy Research Centre" heißt.
Sind die Pläne der Regierung, einen Staatfonds einzurichten, nur ein "verzweifelter Versuch, die Öffentlichkeit umzustimmen", wie Helen Rimmer von der Umweltorganisation "Friends of the Earth" es in der vergangenen Woche formulierte?
Nein, sagt Melissa Stark, für "Neue Energien" zuständige Direktorin bei der Beratungsgesellschaft Accenture. Die britische Regierung tue "das Richtige, in dem sie Anreize für alle Beteiligten schafft". Auch Gemeinden, denen wegen der Schiefergasproduktion starke Beeinträchtigungen oder gar ein Auseinanderreißen droht, könnten vom Staatsfonds profitieren, sagte sie zur DW: "Ich sehe nicht, was daran falsch sein könnte."