Terror-Vereinigung oder nicht?
7. März 2018Handelt es sich bei der "Gruppe Freital" um eine Terrorgruppe? Und haben die sieben Männer und eine Frau im Alter zwischen 20 und 40 Jahren bei ihren Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner auch den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf genommen? Diese Fragen wird das Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch beantworten: Punktgenau am ersten Jahrestag des Prozessbeginns wird das Urteil im ersten Terrorverfahren der sächsischen Justizgeschichte gesprochen - unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen in einem extra dafür eingerichteten Verhandlungssaal in der Justizvollzugsanstalt Dresden.
Die Bundesanwaltschaft legt den Angeklagten eine ganze Reihe von Straftaten zur Last: die Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen, versuchte und vollendete gefährliche Körperverletzung und versuchten Mord.
"Es ging darum, ein Klima der Angst zu schaffen"
Ihren Taten habe eine fremdenfeindliche, rechtsextreme und zum Teil nationalsozialistische Ideologie zugrunde gelegen, zeigte sich Oberstaatsanwalt Jörn Hausschild von der Bundesanwaltschaft in seinem Plädoyer überzeugt. Mit unterschiedlichem Tatbeitrag und in wechselnder Zusammensetzung hätten die sieben Männer und eine Frau "ein Klima der Angst" schaffen wollen.
Rückblick - das sächsische Freital im Sommer 2015: Einwohner demonstrieren gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrem Ort. Das ehemalige Hotel Leonardo soll als Erstaufnahme-Einrichtung dienen. Während dieses Sommers gründen die Angeklagten Timo S., Patrick F., Philipp W., Mike S., Rico K., Sebastian W., Justin S., und Maria K. laut Bundesanwaltschaft die "Bürgerwehr FTL360". Der Name setzt sich aus dem Autokennzeichen von Freital und der Buslinie zusammen, auf der Timo S. und Philipp W. als Fahrer eingesetzt waren.
Jagd auf Flüchtlinge, Helfer und linke Politiker
Ihre Mitglieder sehen sich als Verteidiger des deutschen Volkes - gegen Flüchtlinge, gegen Einwanderer, gegen politisch Andersdenkende. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist für sie eine Volksverräterin. In sogenannten "Schwarzen Chats" des Internets und über Telefonate planen sie "wer als Nächstes drankommt". Sie machen Jagd auf Flüchtlingshelfer und linke Politiker. In Tschechien besorgen sie sich Sprengstoff, der 130 Mal stärker ist als der größte in Deutschland zugelassene Silvester-Böller. Die Sprengsätze nennen sie in ihrer Tarnsprache "Obst". Als Rädelsführer der Gruppe gelten Timo S. und Patrick F.
Fünf Anschläge sollen sie verübt haben. Die Bundesanwaltschaft legt ihnen die Sprengung des Autos eines Freitaler Stadtrates der Linkspartei, Angriffe auf ein Parteibüro der Linken und auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden sowie Anschläge auf zwei Flüchtlingsunterkünfte in Freital zur Last. Ein Syrer wurde bei einem der Anschläge leicht verletzt, ansonsten blieb es bei Sachschäden. Am 19. April 2016 ließ das Sondereinsatzkommando der GSG9 die "Gruppe Freital" auffliegen und verhaftete mehrere Mitglieder.
Bundesanwaltschaft spricht von Mordanschlag
Dass bei den Taten der "Gruppe Freital" nichts Schlimmeres passierte, sei reines Glück, führte Oberstaatsanwalt Hauschild in seinem Plädoyer aus. Denn die verwendeten "Tschechen-Böller" hätten eine tödliche Sprengkraft - insbesondere, wenn sie an Fensterscheiben befestigt gleichsam als Glassplitterbomben eingesetzt würden. Genau auf diese Weise hatten die mutmaßlichen Täter einen "Tschechen-Böller" an einer Flüchtlingswohnung angebracht. Die Bundesanwaltschaft bewertet das als Mordanschlag. Den Vorwurf des versuchten Mordes sieht sie bei allen Gruppenmitgliedern bis auf Maria K. und Mike S. erfüllt.
Vermutlich hätten die Vorfälle schon früher untersucht werden können. Denn in Freital war das Treiben der Neonazis stadtbekannt. Nur die Polizei will von all den Bedrohungen und Angriffen nichts gehört und nichts gesehen haben, obwohl Flüchtlingshelfer von Bedrohungen berichteten, obwohl die örtliche Polizeiwache direkt gegenüber der Aral-Tankstelle liegt, in der sich die Truppe um Timo S. und Patrick F. immer wieder traf.
Polizist warnte die Neonazis in Freital
Zumindest einzelne Beamte scheinen der "Gruppe Freital" mehr als nur still gewogen gewesen zu sein. So hatten Medienberichten zufolge führende Mitglieder der rechtsextremen Gruppe in ihren Vernehmungen ausgesagt, Informationen von einem 51-jährigen Polizisten erhalten zu haben. Er soll sie über Orte und Dauer von Polizeieinsätzen unterrichtet haben. Der Beamte wurde mittlerweile vom Dienst suspendiert.
Dass die Taten der "Gruppe Freital" überhaupt in einem großangelegten Prozess bewertet werden, ist Verdienst der Bundesanwaltschaft, die den Fall an sich zog. Dass sie die Ermittlungen übernahm, ist eine schwere Blamage für die sächsische Landesjustiz. Diese hatte zwar Anklage wegen einzelner Delikte erhoben, allerdings ohne dabei den Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Strafgesetzbuch (StGB) zu erheben.
Verteidigung: Es gab keine Terrorgruppe
Und genau an dieser so wichtigen und entscheidenden Stelle setzt die Verteidigung der Angeklagten an. Zwar bestreiten die Anwälte die Taten ihrer Mandanten nicht generell. Schließlich hatte sich der 18-jährige Justin S., der jüngste Beschuldigte, in der Hauptverhandlung zu den Taten geäußert und reumütig gezeigt. Doch die Anwälte monierten, die Terror- und Mordvorwürfe seien "völlig überzogen".
Bei der "Gruppe Freital" habe es sich weder um eine kriminelle noch um eine terroristische Vereinigung gehandelt, so die Verteidigungsstrategie. "Wir haben es hier mit spontanen Taten zu tun", betonte der Verteidiger von Patrick F., Andreas Schieder. Und der Anwalt von Timo S., Michael Sturm, bezweifelte wie auch seine Kollegen die potenziell tödliche Gefahr der Sprengkörper.
Strafrechtsexperte sieht Hinweise auf terroristische Vereinigung
Für Strafrechtler Nikolaos Gazeas, Experte für Paragraph 129a StGB, gibt es zwei mögliche kritische Punkte, an denen eine Verurteilung wegen der Gründung, Mitgliedschaft oder Hilfe zu einer terroristischen Vereinigung scheitern könnten. So müsse für eine Verurteilung nach 129a StGB bewiesen sein, dass es ein Mindestmaß an fester Organisation innerhalb der Gruppe gegeben habe. Wenn die Verteidiger der "Freital-Gruppe" von "spontanen Taten" sprächen, stellten sie genau das in Abrede, sagt Gazeas.
Außerdem müsse ein übergeordneter Gruppenwille im Hinblick auf ein terroristisches Ziel bestanden haben. Ein solcher Wille zeige sich unter anderem darin, dass die Gruppenmitglieder koordiniert zusammenarbeiteten, erklärt der Strafrechtsexperte im Gespräch mit der DW. Auch er blickt mit Spannung auf das Urteil der Richter in Dresden. Seine vorsichtige Prognose nach der bisherigen Berichterstattung: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass die 'Gruppe Freital' in ihrer Struktur und mit ihren Aktionen tatsächlich die Schwelle zu einer terroristischen Vereinigung überschritten hat."
Sollte das Gericht in Dresden zu diesem Urteil kommen, wäre das letzte Wort aber vermutlich noch lange nicht gesprochen, schätzt der Rechtsanwalt, der auch an der Universität in Köln lehrt: "Ich bin mir sicher, dass die Verteidigung dann in Revision gehen wird, dann wird der Bundesgerichtshof zu entscheiden haben."