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Grünen-Parteitag: Die neuen Patrioten und der Macht-Wille

17. November 2024

Mit Geschlossenheit, dem Spitzenkandidaten Robert Habeck und einer neuen Parteiführung haben sich die Grünen auf ihrem Parteitag für die Neuwahl in Stellung gebracht. Ob sie weiter regieren können, ist aber ungewiss.

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Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck machen auf dem Parteitag der Grünen in Wiesbaden ein Selfie
Weiterhin zum Regieren entschlossen: Außenministerin Baerbock und Vizekanzler Habeck sind derzeit Teil einer Minderheitsregierung Bild: IMAGO/Political-Moments

Nach dem Bruch der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen wird am 23. Februar nächsten Jahres ein neuer Bundestag gewählt. Die Grünen mussten sich in den letzten Tagen in hohem Tempo auf die neue Lage einstellen. Ihre Reaktion auf dem Parteitag in Wiesbaden: kein wehmütiges oder wütendes Zurückblicken auf die Ampel-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) , benannt nach den drei Parteifarben Rot, Grün und Gelb. Aber die Hoffnung aufgeben will die frühere Protestpartei nicht, dass sie ein Teil der Macht bleiben kann - in anderen Koalitionen. Regieren ist besser als opponieren, ist das heimliche Motto dieses Parteitages. Viel war in den Reden von der Verantwortung für das Land in schwieriger Zeit die Rede. Davon, dass sich die Partei nicht wegducken will. Auch, wenn sie Koalitionen etwa mit den Konservativen von CDU und CSU eingehen müsste.

Habeck: "Eine starke EU gegen die autoritären Regime"

Als Höhepunkt schwor Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck die rund 830 Delegierten zum Ende des Parteitages am Sonntag auf einen harten, kurzen Wahlkampf ein. Habeck wurde in Wiesbaden im Bundesland Hessen mit 96 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten bestimmt, die Wortwahl Kanzlerkandidat wurde zwar vermieden, schwang aber in vielen Reden mit. Die Demokratie sei bedroht durch die Spaltung der Gesellschaft, durch Rechtsextreme und Populisten, so Habeck. Was die Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten für die Sicherheit Deutschland bedeute, sei noch gar nicht abzusehen. Die Grünen würden in dieser dramatischen Lage, auch angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, stärker gebraucht denn je: "Die Antwort Deutschlands auf das Erstarken der autoritären Regime ist nicht mehr Nationalismus, sondern ein Bündnis der Demokratien in einer Europäischen Union, die stark und bürgernah ist", so Habeck.

Fester Wille zum Regieren

Die Grünen starten in diesen Wahlkampf quasi mit dem Rücken zur Wand: Zwischen zehn und zwölf Prozent geben ihnen die Demoskopen in den Umfragen derzeit. Aber nicht nur Robert Habeck, auch die Basis ist entschlossen, jetzt nicht der Versuchung zu erliegen, Maximalforderungen zu stellen und sich damit sicher in der Opposition wiederzufinden. So sagte etwa die Delegierte Andrea Lübke aus Brandenburg der DW: "Ich sehe hier eine Partei, die Verantwortung übernehmen möchte und mitgestalten will. Wir müssen schon zeigen, was wir geleistet haben und wo wir hinwollen, und wir müssen den Menschen am Ende ein gutes Angebot machen." Und Markus Helms aus Böblingen in Baden Württemberg meinte über seine Erwartungen an die Neuwahl: "Ein gutes Ergebnis, und idealerweise eine gute Koalition mit einem konstruktiven Partner. Regieren ist immer besser als Opposition. Wir sind mittlerweile extrem staatstragend, und das finde ich gut so. Auf uns ist Verlass." 

Habeck-Vertraute ist neue Bundesvorsitzende

Fast an den Rand gerät bei der unerwarteten Vorbereitung auf die Neuwahl, dass die Grünen in Wiesbaden ihre komplette Führung neu bestimmt haben. Vor einigen Wochen hatten die bisherigen Vorsitzenden, der Außenexperte Omid Nouripour und die Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang, ihren Rücktritt erklärt - entnervt von den ewigen Konflikten in der Ampel-Koalition. Und als Reaktion auf die deftigen Wahlniederlagen etwa bei der Europawahl in Juni, als die Grünen von 20,5 Prozent bei der vorherigen Wahl auf nur noch 11,9 Prozent zurückfielen. Zu neuen Parteivorsitzenden wurden nun der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak aus Nordrhein-Westfalen und die Staatssekretärin in Habecks Wirtschaftsministerium, Franziska Brantner, gewählt. Banaszak  wählten 93 Prozent der Stimmberechtigten, Brantner rund 78 Prozent. Die 45 Jahre alte Sozialwissenschaftlerin gilt als enge Vertraute des Spitzenkandidaten. Ihre Wahl gilt als Beleg, dass der Wahlkampf sehr auf Habeck zugeschnitten sein wird. 

Die neuen Parteichefs der Grünen, Franziska Brantner und Felix Banaszak
Die neuen Parteichefs der Grünen, Franziska Brantner und Felix BanaszakBild: Daniel Roland/AFP

Baerbock klingt wie eine Konservative

Auch deshalb hat Annalena Baerbock, die Außenministerin von den Grünen, in diesen Tagen eine fast undankbare Aufgabe. Sie hat schon vor dem Parteitag bekundet, gern auch nach der Neuwahl im Amt bleiben zu wollen. Aber in ihrer Partei steht sie jetzt doch klar im Schatten des Spitzenkandidaten Robert Habeck. In ihrer Rede klang sie fast wie eine Konservative: Es gelte, das Land und die Demokratie zu verteidigen gegen Bedrohungen von außen und von innen, da vor allem von Rechtsextremen und Populisten. Sie rief in den Saal: "Unsere Verantwortung als progressive Partei ist jetzt vor allen Dingen, Sicherheit zu geben, um zu schützen, was uns lieb und heilig ist." Die Feinde von Demokratie, Fortschritt und Freiheit spielten mit der Verunsicherung der Menschen, indem sie "Deutschland tagtäglich schlechtreden."

Neubauer fordert Klimaschutz als wichtigstes Thema

Als Gastrednerin erinnerte die bekannteste deutsche Klimaaktivistin, Luisa Neubauer von "fridays for future", die Grünen daran, bei allem Willen zu Macht ihr Kernthema Klimaschutz nicht zu vergessen. "Wenn Ihr nicht ehrlich und klar benennt, was in Sachen Klimakrise los ist und was in Sachen Klimagerechtigkeit noch gemacht werden muss, dann werden sich alle anderen dahinter verstecken", sagte Neubauer. Sie forderte von dem Team um Habeck einen "echten Klimawahlkampf, den sonst niemand macht."

Ukraine-Krieg bestimmt über Friedensordnung der Zukunft

Das wollen die Grünen auch tun, aber auch die Wohnungsnot bekämpfen und die marode Infrastruktur im Land erneuern. Alles Vorhaben, die sich schon die alte Ampel-Regierung vorgenommen hatte, aber nicht umsetzen konnte. Trotzdem war von der gescheiterten Koalition in Wiesbaden so gut wie gar nicht die Rede, die Grünen haben überraschend schnell in den Wahlkampfmodus gefunden. So sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Britta Haßelmann, der DW: "Angesichts der Lage der Welt, der Krisen und Konflikte, des Angriffskriegs Putins auf die Ukraine, hätten wir uns mehr Verantwortung für die Fortführung dieses Bündnisses gewünscht. Aber die Ampel ist zerbrochen, und wir blicken jetzt nach vorne."

Angetrieben werden sie dabei auch von fast 10.000 Parteieintritten seit dem Bruch der Regierung vor gut zehn Tagen. Etwa 140.000 Mitglieder haben die Grünen jetzt. Dennoch wird es für die Umweltschutzpartei ein riesiger Kraftakt, auch nach dem 23. Februar 2025 Regierungspartei zu bleiben.