Warum war Dresdens Schatz nicht versichert?
18. November 2020Deutsche Welle: Herr Zilkens, warum waren eigentlich die Dresdner Stücke nicht versichert?
Stephan Zilkens: Scheinbar sind wir so reich, dass wir eigentlich keine Versicherung brauchen. Der deutsche Staat befolgt das Prinzip der sogenannten Eigenversicherung, das gilt auch für die Bundesländer. Das heißt, die Summe aller Güter und Schäden kann nie so hoch sein wie der Einzelschaden.
Sagt der Staat ...
Das sagt der Staat. Im Grunde genommen steht der Steuerzahler dahinter. Die Fiktion ist: Der Staat mit seinen gesamten Besitztümern ist reicher als der einzelne Schaden, der eintreten kann.
Aber das Bewusstsein, so reich zu sein, um sich nicht versichern zu müssen, bringt ja die geraubten Kunstgegenstände noch nicht zurück.
Es bringt weder die geraubten geraubten Kunstgegenstände zurück, noch macht es Mittel frei, um möglicherweise Ersatz in vergleichbarer Qualität zu schaffen. Wobei das für Dresden ausscheidet: Das war einfach einmalig, unwiederbringlich und ein Riesenverlust für die Menschheit.
Wenn es sich um Werke von Künstlern handelt, ist in der Regel immer mehr als ein Werk auf dem Markt, was man irgendwo noch erreichen kann. Man kann dann wenigstens die Sammlung in ihrem Grundgedanken erhalten und hat finanzielle Mittel, die dann nicht noch durch irgendwelche Haushalte oder politische Querelen durchmüssen. Was ja auch wieder ein Problem ist, weil nicht jeder zuerst an die Kultur denkt.
Sie sprechen wie ein Museumschef!
Die deutschen Museen leben davon, dass ihnen die öffentlichen Haushalte Mittel zur Verfügung stellen. Die sind nur geringfügig gestiegen in den vergangenen Jahren. Wenn Sie die Ankaufsetats mancher kommunaler Bereiche angucken, dann kommen Ihnen die Tränen. Ohne Fördervereine funktioniert das gar nicht. Das gilt auch für staatliche Ebenen. Insofern läuft der öffentliche Markt völlig außer Konkurrenz. Und wenn es zum großen Schadenereignis kommt, dann haben Sie den Kampf Sozial- gegen Kulturausgaben.
Alle Welt redet von einem kulturhistorischen Verlust in Dresden. Wie hoch ist der materielle Schaden?
Sehr schwer zu sagen, weil es sich um antiken Schmuck handelt. Aber ich denke mal, wenn Sie den auf einer Auktion anbieten würden, und nicht in einem Private Sale. Und wenn er dann auch frei handelbar wäre und nicht von Kulturgutschutzgesetz betroffen wäre ...
Ziemlich viele Wenns!
Ja, aber das muss man ja alles berücksichtigen. Wenn nun der Schmuck uneingeschränkt veräußerbar wäre, würde ich ein Auktionsergebnis zwischen 150 und 200 Millionen Euro sehen.
Und wenn man Sie vorher als Versicherungsexperten ins Grüne Gewölbe gerufen hätte, welche Rechnung hätten Sie da aufgemacht?
Am Anfang steht die Risikobewertung. Sie gucken sich das Gebäude an, sämtliche Sicherungen. Sie fragen nach dem Ausbildungsstand der Mitarbeiter. Wie oft trainiert das Wachpersonal bestimmte Situationen? Wie oft wird die Alarmanlage gewartet? Wie oft werden hier feuertechnische Untersuchungen gemacht? Gibt es Feuerwehrübungen? All das. Sie klopfen das ganze Risikoumfeld ab, um ein Gefühl für die Risikosituation zu kriegen, auch für das Management. Wie ist das unternehmerische Risikobewusssein in so einem Haus?
Im zweiten Schritt wird überlegt: Wie ist die Werteverteilung? Wo sind die wichtigsten Werte, wo die kulturhistorischen Werte? Wo sind die Dinge wie gesichert? Wie leicht komme ich wo ran? All das sortiere ich.
Auf welche Versicherungsprämie kommen Sie dann?
Wenn Sie ein großes Museum haben, sagen wir mit einem Bestand von einer Milliarde, dann können Sie die Versicherungssumme möglicherweise auf mehrere Häuser aufteilen. So kommen Sie auf einen Beitragssatz von 0,05 oder 0,06 Prozent im Jahr. Wenn Sie also eine Milliarde Euro versichern, dann landen Sie bei 600.000 Euro.
Ist das der gängige Markt-Tarif?
Klingt zwar viel, weil die 600.000 Euro dann in irgendeinem Säckel fehlen. Aber vergleichen Sie das mal mit der Finanzierung einer Bank - und Sie müssen ja keine wirklichen Sicherheiten leisten. Bei einem Totalschaden kriegen Sie aber finanzielle Mittel, mit denen Sie ihr Museum zumindest teilweise wieder darstellen können. Denken Sie etwa an das abgebrannte Nationalmuseum in Rio de Janeiro.
Hätten die Dresdner ihre Sachen versichert, dann hätten sie also diese 0,05 oder 0,06 Prozent Prämie bezahlt?
Das wäre etwa der Satz in Dresden gewesen: 300.000 bis 500 000 Euro Prämie, nicht nur für den Schmuck, sondern auch für die Sixtinische Madonna und all die tollen Dinge, die in Dresden hängen. Dann hätten sie bei einem Teilschaden Geld für Restaurierung und bei einem Totalschaden Geld für das Objekt erhalten. So etwas macht die Situation schon leichter - meines Erachtens.
Stephan Zilkens, Jahrgang 1955, ist Kunsthistoriker und als Versicherungsmakler Spezialist für Kunstversicherungen.
Das Interview führte Stefan Dege.