Guaidó soll Venezuelas Gold bekommen
2. August 2022Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hat entschieden, dass die in London lagernden Goldreserven der venezolanischen Zentralbank (BCV) im Wert von fast zwei Milliarden US-Dollar an den Oppositionsführer Juan Guaidó übergeben werden müssen.
Bei der jetzigen Entscheidung ging es im Kern um die Frage, ob die britische Justiz den von Guaidó ernannten Vorstand der Zentralbank für rechtmäßig hält. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro und der selbsternannte Interimspräsident Guaidó haben jeweils unterschiedliche Vorstände für die BCV ernannt, die gegensätzliche Anweisungen zur Verwaltung der Goldreserven erteilt haben. Venezuelas regierungsfreundlicher Oberster Gerichtshof (TSJ) hatte entschieden, Guaidós Einmischung in das Goldgeschäft zu beschränken und die Reserven aus London zu transferieren.
Richterin Sara Cockerill von der Handelskammer des Londoner High Court wies dies nun zurück. Es gebe "klare Beweise" dafür, dass der TSJ aus Richtern bestehe, die Maduro unterstützten, und dass seine Entscheidungen nach britischem Recht nicht anerkannt würden, so die Begründung.
Hintergrund der Debatte ist ein erbitterter Machtkampf, der seit Jahren in Venezuela geführt wird. Anfang 2019 proklamierte sich Parlamentspräsident Juan Guaidó, ein junger, bis dahin weitgehend unbekannter Oppositionspolitiker, zum Übergangsstaatschef. Mehr als fünfzig, vor allem westliche Staaten, darunter Großbritannien, erkannten Guaidó an. Die Institutionen in Venezuela kontrolliert allerdings weiterhin die Regierung Maduro. Nach mehreren erfolglosen Umsturzversuchen gegen Maduro ist Guaidó auch im eigenen Lager angezählt. Seine Mobilisierungskraft im Land hat stark abgenommen.
Britisches Urteil stößt in Venezuela auf Kritik
Die venezolanische Zentralbank lehnte das "ungewöhnliche Urteil" des britischen Gerichts ab. "Diese gerichtliche Entscheidung verstößt gegen die internationale Rechtsstaatlichkeit und die venezolanische Verfassungs- und Rechtsordnung, da sie versucht, die legitimen Befugnisse der venezolanischen Zentralbank zu missachten, um das kriminelle Netzwerk zu rechtfertigen, das die Veruntreuung der internationalen Reserven Venezuelas ermöglicht", heißt es in einer Erklärung. Es sei "äußerst bedenklich, dass die britische Außenpolitik, die in diesem Fall den Gerichten einen direkten Maulkorb verpasst hat, den Rechten und Interessen von Bürgern, Institutionen und anderen Staaten schweren Schaden zufügt".
Venezuelas Vizepräsidentin Delcy Rodríguez bezeichnete die Entscheidung gegenüber dem staatlichen Fernsehsender VTV als "schrecklich, ruchlos und ungewöhnlich maßlos" und forderte die britische Regierung auf, "nachzubessern" und "nicht weiter so zu tun, als sei Juan Guaidó der Präsident eines Landes, das er nicht ist und nie sein wird".
Guaidó dagegen begrüßte die Entscheidung. "Ich kann Ihnen versichern, dass das Gold des Landes, das sich in England befindet, weiterhin vor den Klauen der Diktatur geschützt wird", twitterte er nach dem Urteil.
Verwendung des Goldes
Die 31 Tonnen Gold, die seit Jahren in den Tresoren der Bank of England in London lagern, sind eines der letzten übrig gebliebenen großen Vermögen aus Venezuelas Tagen als Öl-Supermacht. Das Land befindet sich seit Jahren in einer tiefen Wirtschafts- und Versorgungskrise. Mehrere Millionen Venezolaner haben das Land verlassen.
Die Regierung Maduro erklärte, das Gold verkaufen zu wollen, um den Coronavirus-Notstand zu finanzieren und das durch die jahrelange Wirtschaftskrise geschädigte Gesundheitssystem zu stärken. Die Opposition dagegen behauptet, die Regierung wolle das Geld für ihre ausländischen Verbündeten verwenden, was diese bestreitet.
Der lange Kampf ums Gold
Überhaupt ist der Streitfall um das Gold mehr politischer als juristischer Natur. Seit 2018 versucht Caracas die Herausgabe des in London lagernden Goldvermögens zu erreichen. Damals war Boris Johnson noch Außenminister Großbritanniens. "Möglicherweise müssen wir die wirtschaftliche Schraube gegenüber Venezuela anziehen", benannte er damals die Strategie gegenüber der Maduro-Regierung.
In seinem Buch "The Room Where It Happened" schreibt Donald Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton, dass Johnsons Nachfolger im Außenamt, Jeremy Hunt, bei einem Treffen in Washington zugestimmt habe, die Bank of England für den Kampf der USA gegen Maduro zu gewinnen.
Anfang Juli 2020 scheiterte die Regierung Maduro mit einer Klage auf Herausgabe von knapp der Hälfte des Goldes vor dem Obersten Gericht in London. Das Gericht urteilte damals, dass Großbritannien nicht Maduro, sondern den Oppositionspolitiker Guaidó als Präsidenten anerkenne. Ende 2020 dann hob ein Berufungsgericht in London dieses Urteil auf.
Stattdessen ordneten die Richter eine detaillierte Untersuchung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Venezuela an. Zu klären sei, wen London als legitimen Präsidenten des südamerikanischen Landes anerkennt. Das Gericht folgte damals der Argumentation der venezolanischen Zentralbank, die diplomatischen Beziehungen zur amtierenden Regierung Maduro seien de facto nicht abgebrochen und die Botschaften weiter besetzt.
Das jetzige Urteil ist ein neuer Rückschlag für die Regierung von Nicolás Maduro. Das letzte Wort aber ist in dem Rechtsstreit noch nicht gesprochen. Die BVC wird wohl Berufung einreichen. Das Verfahren wird im Oktober vor dem britischen Handelsgericht wieder aufgenommen werden.
Es ist nicht der einzige Rechtsstreit um venezolanisches Gold vor britischen Gerichten. Im Jahr 2020 beantragte die Deutsche Bank bei den Gerichten die Entscheidung darüber, wer der rechtmäßige Verwalter von 123 Millionen US-Dollar ist, die der BCV gehören und die aus der Beendigung einer Gold-Swap-Vereinbarung zwischen der venezolanischen Institution und der Deutschen Bank stammen. Das Urteil von Richterin Cockerill könnte auch in diesem Fall einen Präzedenzfall darstellen.