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"Kein Zivilgericht"

Michael Knigge4. Mai 2012

Nach dem Kongress-Veto gegen Zivilprozesse gegen 9/11-Drahtzieher hat die US-Regierung die Militärtribunale auf dem US-Stützpunkt verbessert, sagt Mark Denbeaux. Aber wie werden künftige Präsidenten verfahren?

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Mark P. Denbeaux, Professor an der Seton Hall University und Autor des Buchs The Guantánamo Lawyers Foto: Sean Sime
Bild: Sean Sime

Deutsche Welle: Die Militärgerichtsverfahren gegen fünf Angeklagte, darunter Chalid Sheich Mohammed, den mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge des 11. September, markieren den Höhepunkt der Kehrtwende der Obama-Regierung, die zu Beginn ihrer Amtszeit Guantánamo schließen und Militärtribunale beenden wollte. Wer ist dafür verantwortlich, die Regierung Obama oder der Kongress, der einen Wechsel von Militär- zu Zivilprozessen blockiert hat?

Mark Denbeaux: Für mich trägt der Kongress den weitaus größten Teil der Verantwortung. Aber auch die Stadt New York ist mit daran schuld und niemand macht sie dafür verantwortlich. Als Obama bekannt gab, dass die Verfahren in New York stattfinden sollten, erschreckten sich die New Yorker zu Tode. Ich halte sie für die mutigsten Amerikaner, die so kämpferisch und stark sind und die so wütend über den Verlust der Zwillingstürme waren, aber da machten sie sich Sorgen darüber, dass die Prozesse in der Stadt zu weiteren Angriffen führen könnten. Ich habe die Stadt noch nie so verängstigt erlebt. Wenn New York anders reagiert hätte, dann würden Chalid Scheich Mohammed und die anderen dort vor Gericht stehen. Stattdessen ist die Stadt, in der die überwiegende Mehrheit der Morde stattfand, zu ängstlich um den Prozess gegen die Mörder durchzuführen.

Ich erzähle das, weil es viel über die Vereinigten Staaten sagt, dass die mutigste Stadt der Welt - in der das Verbrechen passierte und in der sich die Menschen normalerweise den Prozess am meisten herbeiwünschen sollten - zu große Angst hat, um es zu tun. Die Reaktion im Rest des Landes bezüglich der Prozesse war dann natürlich noch ängstlicher und furchtsamer. In dem Moment, als New York an den Maßstäben, an denen man die Stadt normalerweise misst, scheiterte, gab es praktisch keine politische Unterstützung mehr, die Verfahren irgendwohin sonst zu verlagern. 

Gab es für Obama nach der Blockade durch den Kongress denn eine Alternative zu den Militärtribunalen?

Wahrscheinlich ließ ihm der Kongress keine andere Wahl. Aber es gab eine Option, die er erkannte und dennoch verweigerte, nämlich die der Vorbeugehaft. Es wird meistens übersehen, dass die Vereinigten Staaten weder durch das Weiße Haus noch durch den Kongress ein System eingeführt haben, wodurch Menschen, die keine Verbrechen begangen haben und die auch durch Militärverfahren nicht in Haft genommen werden könnten, vorbeugend inhaftiert werden können. Meiner Ansicht nach stellt die Tatsache, dass es keine Präventivhaft gibt, den größten denkbaren Schutz für die Bürgerrechte in den USA dar. Denn Vorbeugehaft ist wahrscheinlich das schlimmste Mittel, um die Bürgerrechte in den USA auszuhöhlen.

Ein weiterer Punkt, und dass ist etwas komisch, ist die Tatsache, dass man für Anklagen wegen maßgeblicher Unterstützung des Terrorismus in den Vereinigten Staaten 20 bis 35 Jahre Gefängnis bekommt. Wenn man sich nun die Militärtribunale anschaut, dann stellt man zum Beispiel fest, dass der junge Omar Khadr, der zugab, bei einem Kampf dabei gewesen zu sein, bei dem ein amerikanischer Soldat getötet wurde, acht Jahre bekommen hat, von denen er zwei verbüßen muss, bevor er in seine Heimat Kanada überstellt werden kann, um den Rest dort zu verbüßen.

Dann gab es den Fall Majid Khan. In seinen öffentlichen Aussagen gab er zu, dass er von Chalid Scheich Mohammed in die Vereinigten Staaten geschickt wurde, um sich dort mit Anschlägen aus dem Untergrund zu befassen, zum Beispiel indem man Tankstellen mit dem gesamten Benzin darunter in die Luft jagt. Als er in Pakistan war, war er zwei Mal bei Hochzeiten, auf denen auch Premierminister Musharraf anwesend sein sollte. Er zog seine Selbstmordattentäter-Weste an, drehte ein Abschiedsvideo und ging zu den Hochzeiten, um dort zum Selbstmordattentäter zu werden und einen Staatschef zu töten. Musharraf kam nicht, deswegen führte er den Anschlag nicht aus. Dieser Mann bekennt sich vor einem Militärtribunal für schuldig und er bekommt als Höchststrafe 25 Jahre Haft, von denen er bei guter Führung höchstens 19 verbüßen muss. Würde er in den Vereinigten Staaten verurteilt, würde er ohne jeden Zweifel den Rest seines Lebens hinter Gittern bleiben. 19 Jahre ist eine lange Zeit, aber nach amerikanischen Maßstäben ist es nicht einmal annähernd so lang wie man erwarten könnte.

Es ist eine Ironie, dass die Militärtribunale möglicherweise in Bezug auf Freisprüche nicht dasselbe Maß anlegen. Aber sie sind meiner Meinung nach auf jeden Fall weicher in Bezug auf das Strafmaß, als amerikanische Gerichte es wären. Ich bin mir nicht sicher, ob amerikanische Geschworene bereit sind so zu urteilen, wie sie es von ihrer Ausbildung her sollten und wie man es für die Angeklagten erwarten können sollte.   

Es ist also eine komplizierte Situation, und ich sage das als jemand, der Guantánamo-Häftlinge vertritt. Es könnte sogar sein, dass die Bedingungen für die Menschen in Guantánamo besser sind. Aber ich glaube nicht, dass dies für Chalid Scheich Mohammed oder diese Fünfergruppe gilt. Ich habe keinen Zweifel, dass die Vereinigten Staaten schreckliche Dinge mit ihnen vorhaben. Ich denke, es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie hingerichtet werden sollen.

Ob die Militärtribunale dies auch tun werden, kann ich nicht sagen. Ich bin der Auffassung, dass sie auch von Artikel-3-Gerichten (US-Gerichte, die Todesstrafen verhängen können, die Red.) zum Tode verurteilt worden wären.  

Die Obama-Regierung hat betont, sie habe die Militärtribunale verändert und verbessert, so dass sie nun transparenter, fairer und ähnlich wie normale US-Gerichtsverfahren seien. Stimmen Sie zu?

Wenn die Aussage lautet, dass sie die Tribunale verbessert haben, dann lautet die Antwort ja. Wenn die Frage lautet, ob sie so weit verbessert wurden, dass sie wie andere Gerichte sind, dann ist die Antwort nein. Meiner Auffassung nach gibt es in dieser komplizierten Welt der Tribunale viele Möglichkeiten, die für die Insassen Vorteile haben.

Aber man kann sie auf keinen Fall mit Zivilgerichten vergleichen, selbst wenn Einzelne möglicherweise damit besser fahren als vor Zivilgerichten. Und obwohl ich glaube, dass sie versuchen transparent zu sein, ist es trotzdem eine militärische Einheit auf einem hochsicheren Militärstützpunkt und es gibt keinen Zugang für die Presse. Im Irak war die Presse überall. Auch in Afghanistan konnte man mit den Menschen sprechen. In Guantánamo kann das niemand, außer durch die Presseoffiziere.

Glauben Sie, dass diese Verfahren ab jetzt eine Dauerpräsenz haben werden und vorgeben, wie das US-Rechtssystem künftig mit Personen, die es als Terroristen betrachtet, umgehen wird? Was also ist das Erbe dieser Militärtribunale?

Das ist wirklich die am meisten Angst einflößende Frage. Es gibt eine Lebensweisheit, die unveränderlich ist, nämlich die der unbeabsichtigten Konsequenzen. Ich glaube, niemand kann die Auswirkungen über die nächsten fünf, zehn, 50 oder 75 Jahre abschätzen. Vielleicht glauben wir dann gar nicht mehr an Terroristen. Oder es ändert sich die besondere Art des Umgangs mit ihnen, den wir heute pflegen, weil wir sie nicht als Kriminelle betrachten.. Oder aber wir könnten herausfinden, dass dies für die Regierung eine sehr reizvolle Art war, um mehr Macht auszuüben und dass sie daher immer öfter solche Tribunale abhalten wird.

Ich bin der Auffassung, dass die Obama-Regierung alles dafür tun wird, dass es außer für die Menschen, die bereits in Guantánamo sind, keine weiteren Militärtribunale geben wird. Aber ich glaube ebenfalls, dass sie alles dafür tut, dass die Militärtribunale zumindest legitim erscheinen und es soweit wie möglich auch sind. Aber ich mache mir Sorgen, dass - wenn die Militärtribunale weiter abgehalten werden - andere Präsidenten zu anderen Zeiten diese viel häufiger einsetzen werden.

Mark Denbeaux ist Juraprofessor und Direktor des Center for Policy and Research, einem für seine Arbeit über das Guantánamo-Lager bekannten Institut an der Seton Hall University in Newark, New Jersey. Denbeaux hat selbst mehrere Guantánamo-Häftlinge vertreten und ist Mitherausgeber des Buchs "The Guantánamo Lawyers" (2009).

Das Interview führte Michael Knigge