Schönes Scheitern: ein Fazit für Guardiolas Amtszeit?
4. Mai 2016Das Champions-League-Rückspiel "seiner" Bayern gegen Atlético in München wollte sich Jochen Selig auf keinen Fall entgehen lassen. Der 25-jährige Dauerkarteninhaber aus Aichach, einem Ort vor den Toren der Bayerischen Hauptstadt, war einer der ersten Fans im Stadion. Und er war gespannt darauf, wie das wichtigste Spiel der Saison laufen würde. Schon zweimal hatte er im Stadion ein Halbfinal-Aus in der Königsklasse erleben müssen, 2014 gegen Real Madrid und 2015 gegen den FC Barcelona. Diesmal, hoffte er, würde es anders ausgehen.
"Ich wäre sehr enttäuscht, wenn wir ausscheiden. Aber ich glaube daran, dass die Mannschaft es packen kann", sagte er im Gespräch mit DW-Reporter Davis van Opdorp. "Das ist sehr wichtig für uns, vor allem, weil wir in den vergangenen beiden Jahren nicht gut gegen die spanischen Teams gespielt haben."
Diese beiden Halbfinal-Pleiten sind die größten Enttäuschungen in der Amtszeit von Startrainer Pep Guardiola bei den Bayern. Der Spanier wechselt im Sommer zu Manchester City. Das Spiel am Dienstag war seine letzte Chance, die Mannschaft ins Champions-League-Finale zu führen.
Trotz der 0:1-Hinspielniederlage lag Hoffnung auf den Gesichtern der Bayern-Fans. In den Augen mancher waren aber auch Sorgen und Zweifel zu sehen, angesichts des drohenden Ausscheidens.
"Manchmal verstehen wir Guardiolas Aufstellung nicht. Zum Beispiel, dass Thomas Müller in Madrid nicht in der Startelf war. Heute wollen wir Müller natürlich spielen sehen."
Dieser Wunsch wurde den Fans erfüllt, aber mit einer bitteren Wendung: ausgerechnet Müller verpasste es, beim Strafstoß das Spiel und somit das gesamte Kräfteverhältnis in diesem Halbfinale zugunsten der Bayern zu kippen.
Guardiola bleibt cool
Allzu große Anspannung oder gar Sorgen darüber, was dieses Spiel für sein Erbe bei den Münchenern bedeutet, war Guardiola nicht anzumerken. Die ersten sieben Minuten verbrachte er sitzend auf der Bank, während sein Gegenüber, Atlético-Coach Diego Simeone, quasi die gesamte Spielzeit die Grenzen seiner Coaching-Zone ausreizte.
Anders Pep: als Xabi Alonso die Gastgeber mit einem abgefälschten Freistoß in Führung brachte, jubelte die gesamte Ersatzbank der Bayern frenetisch. Guardiola erhob sich dagegen langsam, verteilte eine Kusshand ins Publikum und ballte zaghaft die Faust.
Der FCB-Trainer blieb auch danach vorsichtig optimistisch, bei den Fans im Stadion aber ließ das Führungstor die Zuversicht dramatisch wachsen. Die Zuschauer feierten jeden Eckball ihrer Mannschaft und verfielen in ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert, wenn sich Atlético-Keeper Jan Oblak wieder scheinbar endlose Sekunden den Ball zum Abstoß zurecht legte. Welche Vorbehalte die Fans auch immer gegenüber Guardiola hatten, für den Moment waren sie bedeutungslos, weil es schien, als wenn der Taktiktüftler nun doch das richtige Rezept gefunden hätte, um ihren geliebten Club endlich wieder ins Finale der Königsklasse zu führen.
"Das ist Peps Handschrift", erklärte Selig zur Halbzeit, "wir spielen immer so. Noch nie habe ich Atlético so unter Druck gesehen."
Griezmann zerstört die Hoffnung
Mit einem Moment war die Hochstimmung der Bayern-Fans dahin. Als Antoine Griezmann den Ausgleich erzielte, sanken die Zuschauer zurück in ihre Sitze, in denen sie es zuvor keine Sekunde lang ausgehalten hatten. Die Zuversicht schwand.
Eine Viertelstunde vor Schluss brachte Robert Lewandowski mit seinem Treffer die Arena erneut zum brodeln. Die Fans verzweifelten aber am ausgebufften Zeitspiel der Madrilenen. Die Unzufriedenheit schlug sich auch bei Guardiola nieder. Er legte sich wieder und wieder mit dem vierten Offiziellen an. Die Coolness der ersten Hälfte war da längst vergessen.
Als dieses rauschhafte Duell sich seinem Ende näherte, konnte der Trainer nur zuschauen. Genau wie Selig und die anderen Fans auf der Tribüne sah er, wie die Mannschaft Torchance um Torchance ungenutzt ließ. Als Schiedsrichter Cüneyt Cakir die Partie abpfiff, verschwand Guardiola blitzschnell im Kabinentunnel. Rings herum auf den Rängen machte sich Enttäuschung breit.
Was bleibt von Guardiola?
Nach dem dritten Halbfinal-Aus in Serie verließen die enttäuschten Fans das Stadion. Die rot-weißen Flaggen, vor Anpfiff für die aufwendige Choreografie verwandt, dienten manchen als Fußabtreter, zum Frustabbau. Aber diese Wut richtete sich nicht auf Guardiola. Vielmehr speiste sie sich aus dem Bewusstsein, dass ihrem Team schlicht das entscheidende Quäntchen Glück gefehlt hatte.
"Ich bin sehr enttäuscht. Wir waren so nah dran, und Atlético hatte nur eine gute Chance. Nur Eine!" – sagte der sichtlich unglückliche Selig nach der Partie. "Guardiola hat nichts falsch gemacht. Es war nicht sein Fehler heute."
Viele Bayern-Fans mögen das anders sehen, aber auf die Frage, ob das Ergebnis seine Sicht auf Guardiolas Wirken in München verändern würde antwortete Selig: "Nein, für mich nicht. Aber für viele andere schon. Jeder der das Spiel heute gesehen hat, muss anerkennen, dass die Mannschaft großartig gespielt hat. Nur ein Treffer hätte für das Finale gereicht. Insgesamt gesehen war es für Bayern wichtig, dass Pep für drei Jahre hier war."
Der Trainer selbst wirkte nach der Partie resigniert. Guardiola fügte sich dem Ausscheiden und ignorierte alle Fragen, die darum kreisten, was dieses erneute Scheitern in der Königsklasse für seinen Ruf in Deutschland bedeuten könnte. "Ich habe in den vergangenen Jahren mein Leben für diese Spieler gegeben", sagte er, "es ist mir egal, was die Leute sagen. Ich bin sehr stolz."
Die Bayern lieferten die richtige Leistung, wenn auch nicht das richtige Ergebnis. Dennoch bleibt Guardiola für Selig und womöglich auch für viele andere Fans des Rekordmeisters, ein Gewinner.