Guido Burgstallers zweiter Bildungsweg
14. April 2017Amsterdam. Der Blick ging auf den Boden, die Suche nach dem kürzesten Weg zum Ausgang war das Einzige, was Guido Burgstaller kurz vor Mitternacht am Donnerstag noch im Sinn hatte. Das 0:2 des FC Schalke 04 im Viertelfinal-Hinspiel der Europa League bei Ajax Amsterdam hatte bei allen Beteiligten des Ruhrgebietsklubs tiefe Spuren hinterlassen. Reden wollte der 27-Jährige jedenfalls nicht mehr über das Erlebte, das einem Trauma für die Schalker gleich kam.
Doppeltorschütze Davy Klaasen (23. Minute, Foulelfmeter; 53.) hatte die Niederländer zum hochverdienten Sieg geschossen, der noch deutlich zu niedrig ausgefallen war. Und auch Burgstaller hatte, wie seine Teamkollegen, gegen die Niederländer einen gebrauchten Tag erwischt.
Auch der Angreifer konnte so gut wie keinen Zweikampf für sich entscheiden und war kaum mehr als ein Mitläufer in einer über weite Strecken desolat auftretenden Schalker Mannschaft. Torgefahr strahlte Burgstaller zu keiner Sekunde in der Amsterdam-Arena aus. Es waren für den Österreicher die ersten wirklich missratenen 90 Minuten in seinen bisher rund dreieinhalb überraschend erfolgreichen Monaten auf Schalke.
Heidel: "Kein finanzielles Risiko"
In den Wochen davor war es für Burgstaller bei den Königsblauen immer nur aufwärts gegangen. Aufgrund der großen Verletzungsmisere bei den Schalker Stürmern hatte Manager Christian Heidel den bis dahin besten Torjäger der 2. Bundesliga (14 Treffer) als kurzfristigen Ersatz in der Winterpause für 1,5 Millionen vom 1.FC Nürnberg verpflichtet.
"Wir probieren das aus. Das ist für uns kein finanzielles Risiko", sagte Heidel kurz nach der Verpflichtung Burgstallers im Januar. Hätte diese Idee nicht gefruchtet, hätte sich nach Meinung des Schalker Managers problemlos ein anderer Käufer für den Angreifer gefunden. Angebote habe der Spieler genügend gehabt. Doch derlei Weiterverkaufs-Gedanken brauchen sich alle Beteiligten nun nicht mehr machen.
Mittlerweile hat sich Burgstaller einen Namen auf Schalke gemacht. Acht Pflichtspieltore - sechs in der Bundesliga und zwei in der Europa League - hat er bereits erzielt, ist zum Stammspieler vor Klaas-Jan Huntelaar und Franco Di Santo geworden. "Er hat seine Chance genutzt, als andere verletzt waren", sagt Trainer Markus Weinzierl.
Die lauten Jahre sind vorbei
Burgstaller ist mittlerweile so etwas wie das personifizierte Versprechen, dass es auf dem Schalker Fußballfeld nach Schweiß und Arbeit riecht. Er läuft, kämpft und rennt auch dann noch, wenn es aussichtslos erscheint. Allein dafür lieben ihn die Fans des Ruhrgebietklubs, die von jeher mehr der beherzten Grätsche als dem filigranen Fußballspiel zugetan sind.
"Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft gewinnen und unsere Ziele erreichen. Ob ich dann treffe, ist letztendlich egal", sagte Burgstaller unlängst und vermied es tunlichst, sich in den Vordergrund zu drängen. Burgstaller genießt seinen augenblicklichen Erfolg eher still. Denn seine lauten Jahre sind vorbei.
"Seine Zeit in England bei Cardiff hat ihn offenbar umdenken lassen. Er wollte etwas ändern", sagt Schalkes Sportdirektor Axel Schuster. Auch auf der britischen Insel hatte Burgstaller den dauerhaften Sprung ins Profiteam, wie auch schon bei Stationen zuvor, nicht geschafft. Wohl auch, weil sein Lebenswandel außerhalb des Spielfeldes nicht immer so war, dass der Angreifer zu stetig wiederkehrenden Höchstleistungen imstande war. Burgstallers Karriere schien auf einem absteigenden Ast zu sein.
Ruhiger und fokussierter
"Manche Spieler müssen sich erst die Hörner abstoßen. Die schaffen den nächsten Schritt erst auf dem zweiten Bildungsweg", sagt Schuster über den späten Karrieresprung des Österreichers. Die jüngste Berufung in die Bundesliga im für Fußballprofis fortgeschrittenen Alter von 27 Jahren ist unüblich geworden. Durch das engmaschige Netz von europa- und auch weltweit agierenden Talentspähern werden die Profis in den ersten Ligen eher jünger denn älter.
Burgstaller schaffte den Turnaround in Nürnberg noch buchstäblich in letzter Sekunde. Im Frankenland besann er sich allein auf seine Fähigkeiten und verordnete sich selbst eine neue Berufs-Einstellung. "Er ist jetzt viel fokussierter und ruhiger als früher. Möglicherweise bereitet er sich jetzt auch viel professioneller vor", sagt Schuster. Burgstaller hat sich auf den für ihn richtigen Weg begeben. Und die Partie in Amsterdam dürfte ihm vor allem als Warnung gelten, diese gebotene Ernsthaftigkeit auch dauerhaft beizubehalten.