Sissoco Embaló: Guinea-Bissaus starker Mann oder Diktator?
24. März 2024Seitdem Umaro Sissoco Embaló Präsident Guinea-Bissaus ist, führt er sein Land sukzessive in den Ausnahmezustand: Sissoco, wie er im Volksmund genannt wird, ging in den letzten vier Jahren systematisch auf Kollisionskurs mit politischen Gegnern, dem Parlament und anderen Instanzen des Staates. Ausgangspunkt war der misslungene Putschversuch gegen ihn vom 1. Februar 2022, auf den er mit einer Verhaftungswelle von Oppositionellen reagierte. Auf ein ihm widerstrebendes Parlamentswahlergebnis im Juni 2023 reagierte der ehemalige Brigadier-General und Premierminister mit der Auflösung des Parlaments. Anschließend entließ er die gewählte Regierung. Schließlich drängte er im Dezember 2023 den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes aus dem Amt.
All diese Schritte begründete der 51-Jährige mit der Notwendigkeit einer "Säuberung des Landes von destruktiven und korrupten Elementen". Er wolle zudem die "Ordnung und Disziplin" im Land wiederherstellen. Bis diese Ziele erreicht seien, werde Guinea-Bissau von einer "Übergangsregierung auf Initiative des Präsidenten", also von ihm selbst, regiert. Noch im Lauf dieses Jahres solle es Neuwahlen geben, verspricht er. Erst danach könne eine verfassungskonforme Normalität im Lande wieder hergestellt werden.
Kritische Stimmen
Viele Bürger sehen Freiheit und Demokratie gefährdet und das Land auf dem Weg in die Diktatur. Doch nur wenige trauen sich, offen Kritik am Präsidenten zu äußern. Ex-Justizministerin Carmelita Pires ist eine der wenigen, die kein Blatt vor dem Mund nehmen. Seit Sissoco an der Macht ist, fühle sie sich an die dunklen Zeiten des marxistischen Einparteiensystems erinnert, das in Guinea-Bissau erst 1994 reformiert wurde: "Sissoco missachtet sämtliche Prinzipien unseres Rechtstaates, indem er sämtliche Gewalten auf sich vereinigt: Als Präsident und selbsternannter Regierungschef kontrolliert er die Exekutive. Gleichzeitig setzt er die Judikative unter Druck. Und nach der Auflösung des Parlaments konditioniert er auch die Legislative", so die Juristin in einer Videobotschaft an die DW. Sissoco lege eindeutig ein "diktatorisches Verhalten" an den Tag, so das Fazit von Carmelita Pires.
Auch Bubacar Turé, Präsident der guineischen Liga für Menschenrechte, sieht die Demokratie in Gefahr: "Wir haben eine Regierung, die allein auf Initiative des Präsidenten, also ohne Zustimmung des Parlaments, zusammengesetzt wurde. Damit ist zu viel Macht in der Person des Staatspräsidenten konzentriert. Zurzeit sind der Rechtstaat und die Demokratie in Guinea-Bissau de facto außer Kraft gesetzt."
Wann gibt es Neuwahlen?
Im Juni 2023 hatte ein Bündnis unter Führung der früheren Befreiungsbewegung PAIGC die absolute Mehrheit gewonnen - und nicht Sissocos Partei Madem G15, die sich einst von PAIGC abgespalten hatte. Sissoco weigerte sich aber, den Vorsitzenden der PAIGC, seinen Erzfeind Domingos Simões Pereira, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Erst mit großer Verzögerung ernannte er dessen Stellvertreter Geraldo Martins zum Regierungschef.
Doch die Regierung hielt nur wenige Monate: Im Dezember 2023 nahm Präsident Sissoco die Verhaftung mehrerer PAIGC-Regierungsmitglieder, die unter Korruptionsverdacht standen, zum Anlass, das Parlament aufzulösen und damit gleichzeitig die PAIGC-Regierung abzusetzen.
Sissoco kündigte an, dass noch in diesem Jahr, vorzugswiese im Juni, ein neues Parlament gewählt werden soll. Doch die Voraussetzungen für Neuwahlen sind nach Meinung von Beobachtern - rein organisatorisch - nicht gegeben. Die Amtszeit der Kommissionsmitglieder, die vom Parlament bestimmt werden müssten, sei längst abgelaufen, beklagt Juristin Carmelita Pires. Und da das Parlament aufgelöst sei, sei es quasi unmöglich, dass sich die verschiedenen Parteien mittelfristig auf die Zusammensetzung einer neuen Wahlkommission einigen. Sie glaubt: "Unter diesen Umständen werden wir auf keinen Fall in der Lage sein, in den nächsten Zeiten freie, faire und legale Wahlen durchzuführen."
Sissoco verteidigt sich und setzt seinen Kurs unbeirrt fort
Sissoco weist Vorwürfe, eine Diktatur errichten zu wollen, entschieden zurück. "Das ist typisch für Afrika: Wenn einer, wie ich, für Ordnung und Disziplin sorgt, dann wird er sofort als Diktator beschimpft. Dabei habe ich nichts von einem Diktator! Ich bin ein Mann des Volkes!", sagte Sissoco Embaló in einer Videobotschaft, die er Ende 2023 über Facebook verbreitete.
In dieser Woche drohte er auf einer Pressekonferenz indirekt seinen Kritikern: Menschen, die ihn diffamierten, würden gnadenlos, "notfalls bis nach China" verfolgt werden, so der Staatspräsident. Kritischen Journalisten weicht Sissoco normalerweise aus. Seit seinem Amtseintritt bleiben auch mehrere Interviewanfragen der DW unbeantwortet.
Erfolge auf internationaler Bühne
Gleichzeitig versucht Sissoco sein Image auf internationaler Ebene aufzupolieren. Im Juli 2022 übernahm er für ein Jahr den Vorsitz der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und hat während der Zeit bei Staatschefs mächtiger Staaten der Region viel Lob geerntet und Respekt erworben. Senegals Präsident Macky Sall habe er, zum Beispiel, als engen Verbündeten für sich gewinnen können, behauptete Sissoco immer wieder in den sozialen Medien.
Im Mai 2023 nahm er an einer Mission von sechs afrikanischen Staatschefs teil, die im Krieg zwischen Russland und der Ukraine vermitteln wollen. Dafür fuhr er auch nach Kiew und Moskau. Vor wenigen Wochen reiste Sissoco zudem nach Israel und ins Westjordanland, wo er mit Palästinenserführer Mahmud Abbas zusammentraf und die Möglichkeiten eines Waffenstillstands im Gazastreifen erörterte.
Sissoco gefällt sich in der Rolle des friedlichen afrikanischen Friedensstifters: "Es ist mir gelungen, Guinea-Bissau im Konzert der Nationen neu zu positionieren. Guinea-Bissau ist zwar ein kleines Land, was die Größe seines Territoriums angeht, aber ich habe den Beweis erbracht, dass es keine kleinen Staaten gibt", sagte Sissoco auf einer Pressekonferenz.
Kritische Beobachter wie die Juristin Carmelita Pires sehen das anders: Das Land stecke in einer Sackgasse. Präsident Sissoco habe sich verrannt und müsse sofort umkehren: "Guinea-Bissau steht am Rande des Abgrunds. Ein Schritt weiter, und dieser Staat fällt ins Bodenlose."
Mitarbeit: Braima Darame, Djariatú Baldé