Guyana holt Migranten zurück
22. September 2024Es ist das südamerikanische Land mit den derzeit größten Wachstumsraten: Seit vor neun Jahren riesige Ölvorkommen entdeckt wurden, erlebt Guyana einen Wirtschaftsboom ungeahnten Ausmaßes. Laut US-Konzern Exxon belaufen sich die förderbaren Ölressourcen in den bislang bekannten Fördergebieten auf etwa elf Milliarden Barrel. Das alles hat Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft.
Laut Statistikportal "Statista", das sich auf Zahlen von IWF und Weltbank stützt, wird sich das Bruttonationaleinkommen von 4,62 Milliarden Euro (5,16 Milliarden US-Dollar) im Jahr 2019 auf 29,3 Milliarden Euro (32,7 Milliarden US-Dollar) im Jahr 2029 vervielfachen. Das Land, das an Venezuela, Brasilien und Surinam grenzt, gehört damit zu den Ländern mit der stärksten Wirtschaftsdynamik weltweit. "Es ist, als hätte das Land im Lotto gewonnen", sagte Diletta Doretti, Weltbankvertreterin für Guyana und Suriname, in einem Interview mit der BBC.
Fachkräfte gesucht
Die Folgen des Booms sind überall sichtbar. In der Hauptstadt Georgetown gibt es unzählige Baustellen und Infrastrukturprojekte. Die nun benötigten Fach- und Arbeitskräfte fehlen aber. Daher will Guyana die ausgewanderten Landsleute zurückholen. Bis zu den Ölfunden im Jahr 2015 gab es eine stetig anhaltende Auswandererwelle aus dem Land, weil vielen, vor allem jungen Menschen in Guyana eine Perspektive fehlte und sie ihr Glück im Ausland suchten.
Schon vier Jahre nach den ersten großen Ölfunden kehrten bereits rund 50.000 Migranten nach Guyana zurück, berichtet das lokale Portal "Newsroom" unter Berufung auf das Finanzministerium des Landes.
Das Öl markierte die Kehrtwende: 2016 kamen zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Guyanas mehr Menschen ins Land als wegzogen (1510), so ein Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Im Jahr 2018 lag die Nettomigration bereits bei 18.150 Menschen. Schon 2018 hatte Guyanas Außenminister bei einem Besuch in Kanada offensiv um eine Rückkehr der Landsleute geworben: "Schicken Sie nicht nur Geld nach Hause, sondern kommen Sie zurück und investieren Sie". In den vergangenen beiden Jahren waren es noch einmal 32.000 Menschen. Bei einer Bevölkerung von nur etwas über 800.000 Einwohnern, sind das enorme Ausschläge.
Rückwanderungsmanagement
Das Außenministerium verwies in einer Anfrage der Deutschen Welle auf das Remigrations-Programm der Regierung, die Rückkehrwilligen bei der Entscheidung in die Heimat zurückzukehren, Hilfe und Unterstützung anbietet: "Die Regierung von Guyana strebt eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung an und ist sich des Potenzials der Diaspora bewusst, diesen Prozess zu unterstützen. Das Rückkehrer-Programm ist eine der vielen Initiativen der Regierung, die darauf abzielen, die in anderen Ländern lebenden Guyaner zur Rückkehr zu bewegen und zur Entwicklung ihres Heimatlandes beizutragen".
Instrumente, die eine Rückkehr erleichtern sollen, sind zum Beispiel Steuerbefreiungen für qualifizierte Fachkräfte. Die "Rückwanderungsstelle" definiert ihre Ziele klar: Die reichen von einer "Unterstützung von Bürgern, die an einer Wiedereinwanderung nach Guyana interessiert sind" bis zu einer "Wiedereingliederung von zurückkehrenden Guyanern und die Nutzung ihrer Fähigkeiten und Ressourcen". Möglich machen sollen das strategische Leitlinien eines effizienten Rückwanderungsmanagements, das unbürokratisch helfen soll. Botschaften und Konsulate des Landes sollen rückkehrwillige Guyaner in ihren Ländern informieren und beraten.
Venezuelas Ansprüche auf Land und Öl
"Ich lebe jetzt seit fast zwei Jahren hier. Jedes Mal, wenn ich das Land verlasse, bemerke ich den Unterschied, wenn ich zurückkomme", sagt Weltbank-Managerin Diletta Doretti. Zahlen belegen diesen Eindruck: Lagen die Investitionen im Jahr 2019 noch bei 187 Millionen US-Dollar (167 Millionen Euro) für Infrastrukturprojekte wie Straßen und Häfen, schossen sie seither in die Höhe - auf 650 Millionen US-Dollar (582 Millionen Euro) im Jahr 2023.
Auf der Erfolgsgeschichte liegt allerdings auch ein Schatten: Das diktatorisch regierte Nachbarland Venezuela mit seinem sozialistischen Machthaber Nicolas Maduro erhebt seit den Ölfunden wieder Anspruch auf weite Regionen des Landes. In einem hoch umstrittenen, kaum transparenten Referendum ließ sich Maduro von der Bevölkerung einen Gebietsanspruch absegnen. Begründet wird der Anspruch mit einem historischen Streit über die Grenzziehung mit der ehemaligen britischen Kolonialmacht.
Seitdem steht die Drohung im Raum, die Gebietsansprüche in Guyana militärisch durchzusetzen. Landkarten, auf denen weite Teile Guyanas mit direktem Zugang zu den Ölvorkommen Venezuela zugeordnet sind, ließ Maduro bereits drucken. Tatsächlich sind schon viele Venezolaner im Land: Sie sind auf der Flucht vor der Repression und der Versorgungskrise in ihrer Heimat nach Guyana geflohen.