Erdogans Hilfe für die Muslimbrüder
9. November 2021In Deutschland ist die DITIB, der hiesige Ableger der türkischen Religionsbehörde, vermehrt in negative Schlagzeiten geraten. Und auch im Nachbarland Österreich wird deutlich, wie sich der türkische Staat unter Präsident Erdogan dort fragwürdiger islamistischer Gruppen bedient, um seine politischen Ziele in Europa durchzusetzen.
Ein neuer Bericht der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" zeigt auf, dass die aus Ägypten stammende Muslimbruderschaft auch in Österreich Fuß gefasst hat. Die radikale Gruppe, die inzwischen in ganz Europa aktiv ist, bediene sich einer demokratischen Rhetorik, de facto aber verfolge sie genau entgegengesetzte Ziele. Durch freundliches Auftreten in der Öffentlichkeit versuche die Gruppe, an politische Akteure heranzutreten und sich als legitimer Ansprechpartner für die Anliegen der rund 700.000 Musliminnen und Muslime im Land ins Spiel zu bringen.
Ohne Rückhalt, aber mit viel Einfluss
In Wirklichkeit, so der Bericht, habe die Muslimbruderschaft über ihre Funktionäre hinaus nur wenig Rückhalt in der muslimischen Glaubensgemeinschaft Österreichs. Die allermeisten Muslime ignorierten die Radikalen. Allerdings stünden viele Moscheen und die sie tragenden Vereine unter ihrem direkten Einfluss. Zudem gelinge es der Bruderschaft mit ihrer gelungenen PR, öffentliche Gelder für sich und ihre Zwecke zu akquirieren. Der Bericht geht auch auf die Finanzierung der Gruppe aus dem Ausland ein.
In etlichen islamischen Ländern, darunter auch Ägypten, ist die Muslimbruderschaft verboten. Das lässt tief blicken, wenn sie selbst konservativen islamischen Gesellschaften wie der ägyptischen zu radikal ist. Unter dem Regime von Hosni Mubarak waren die Muslimbrüder verboten, was ihr nach dem Ende der Diktatur kurzzeitig Sympathien und Wählerstimmen zutrug. Doch das Intermezzo in Ägypten blieb kurz, das Militär übernahm die Geschicke des Landes und belegte die Gruppe wieder mit dem Bann des Verbots.
Aufgrund der ideologischen Nähe zwischen den Muslimbrüdern und dem türkischen Präsidenten Erdogan siedelten sich etliche von ihnen in der jüngeren Vergangenheit in der Türkei ein. Das Verhältnis zwischen Ägypten und der Türkei ist wegen der Unterstützung für die radikal-islamische Gruppe inzwischen angespannt.
Der nur kurz geläuterte Islamist
Die Unterstützung Erdogans für die Muslimbrüder in Europa ist seinem Wunsch geschuldet, noch mehr Einfluss auf dem Kontinent auszuüben. Erdogan, der einst selbst wegen seiner islamistischen Gesinnung als Gefahr für die Türkei eingestuft und mehrere Monate inhaftiert worden war, hat nur für eine kurze Zeit - am Beginn seiner Amtszeit als Ministerpräsident - den Eindruck erwecken wollen, ein geläuterter Islamist zu sein. Heute lässt er keine Gelegenheit aus, sich als islamischen Herrscher einer neu erstarkenden Türkei zu präsentieren. Aus Anlass der Umwidmung der Hagia Sophia, einst die größte christliche Kirche der Welt, von einem Museum in eine Moschee ließ Erdogan den gesamten Gottesdienst als Feierstunde eines zurückkehrenden Islam gestalten.
Mag sein, dass jemand mit solchem Gedankengut nachts noch die eine oder andere Träne darüber verdrückt, dass Wien, "der Augapfel der Christenheit”, wie er damals genannt wurde, von den Osmanen 1529 und 1683 nicht erobert wurde. Erdogans Engagement für die Muslimbrüder und andere radikale islamistische Gruppierungen, die er teilweise über seine Familienstiftung abwickelt, nähren diesen Eindruck. Unterwerfungsfantasien spielen auch bei der Muslimbruderschaft eine Rolle: Am Ende ihres Engagements soll eine völlige Islamisierung des christlichen Europa stehen, so der Bericht der Dokumentationsstelle aus Österreich. Jenseits dieses dystopischen Ziels sollen in einem ersten Schritt erst einmal die Muslime in Europa für die Gruppe und ihre Ziele begeistert werden.
Verbot der Muslimbrüder?
Eines dieser Ziele ist die Zerstörung des Staates Israel. Auch hier stehen sich die Radikalen und Erdogan nahe. Dieser hatte bereits im Jahr 2009 beim Weltwirtschaftsforum in Davos den damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres beschimpft und in Folge Israel immer wieder als "Terror-Staat” gebrandmarkt. Auch im Hinblick auf den Nahen Osten positioniert er sich als islamischer Herrscher, wenn er etwa auf Twitter schreibt "Wir verstehen jeden Angriff auf Muslime als einen Angriff auf uns alle”.
Der Bericht aus Österreich dürfte nun die Runde in den europäischen Ländern machen, auf die der Text schaut. Die konzise Zusammenschau führt ungeschönt vor Augen, wie weit der Einfluss Muslimbrüder gediehen ist, ein Einfluss der naturgemäß nicht an Landesgrenzen Halt macht. Ob der Bericht konkrete politische Folgen zeitigt, etwa ein Verbot der Muslimbrüder, bleibt abzuwarten.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 - 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin 'The European' heraus.