Görlach in New York: Die Stadt schläft
3. April 2020Es ist dunkel in New York. Das ist eine der größten Veränderungen, die Alexander Görlach aufgefallen sind, seitdem das Coronavirus begonnen hat, in der Stadt zu wüten. "Die Lichter in den Geschäften und Bürogebäuden von Manhattan sind aus", sagt Görlach, der als Carnegie Fellow seit Juli 2018 in New York lebt und unter anderem als Kolumnist für die DW tätig ist. "Die Stadt, die niemals schläft, schläft jetzt schon."
New York City und den umliegenden Bundesstaat hat es in den USA am härtesten getroffen. Seit zwei Wochen herrscht Ausgangssperre und immer mehr Krankenhäuser in der Stadt melden einen Mangel an Schutzkleidung, Masken, Beatmungsgeräten - eigentlich an allem.
Doch kein Corona-Fall im Gebäude
Als US-Präsident Donald Trump am Sonntag bei einer Pressekonferenz andeutete, er finde es verdächtig, dass die New Yorker Krankenhäuser einen so hohen Verbrauch an Gesichtsmasken hätten, ging ein Aufschrei durch die sozialen Medien. Schließlich müssen Ärzte nicht nur die exponentiell steigenden Corona-Fälle behandeln, sondern auch den "normalen" Betrieb weiterhin aufrechterhalten.
"Am Sonntag stand bei uns ein Krankenwagen vor dem Haus", erzählt Görlach, der mit seinem Partner in einem Apartmentgebäude im Stadtteil Long Island City in Queens wohnt. "Wir haben uns alle die Nase an der Scheibe platt gedrückt und waren besorgt. Aber man muss sich erinnern, dass es auch noch andere Krankheiten gibt. Unser Gebäude-Management hat später die Bewohner informiert, dass es sich nicht um einen Corona-Fall gehandelt hat."
Der Verkehr steht still
Queens ist der am stärksten vom Coronavirus-Ausbruch betroffene Stadtbezirk von New York, vor Brooklyn. Queens vermeldete, Stand Mittwoch, 14.966 Fälle des Coronavirus, mehr als doppelt so viele wie Manhattan, wo die Anzahl am Mittwoch bei 6960 lag.
Normalerweise pendelt eine Vielzahl von Menschen jeden Morgen von Queens über den East River nach Manhattan, wo die Mieten für Normalverdiener zu hoch sind. Aber Normalität gibt es unter dem Coronavirus nicht mehr. "Ich habe neulich gezählt: 17 Sekunden hat es gedauert, bis ich das erste Auto gesehen habe, dass über die Queensboro Bridge in die Stadt [nach Manhattan] gefahren ist", erzählt Görlach. Normalerweise sind auf der Brücke mehr Autos unterwegs, als man mit bloßem Auge zählen kann.
Wer es irgendwie vermeiden kann, verlässt nicht mehr das Haus. Das führt dazu, dass Görlach in seinem Viertel auf einmal viele New Yorker Wahrzeichen zu Gesicht bekommt. "Viele der berühmten gelben Taxis parken jetzt hier in Queens. Die waren schon durch Uber und Lyft in Gefahr. Und jetzt fährt ja keiner mehr."
Am John F. Kennedy Airport in Queens, wo man sonst als Fahrgast auf ein Taxi warten muss, stehen die Fahrer jetzt sechs Stunden oder mehr, bevor sie einen Reisenden vom Flughafen in die Stadt bringen können, berichtet die New York Times.
"Bloß nichts anfassen"
Auch Görlach ist sehr viel weniger unterwegs als früher. Einige seiner Vorträge wurden verschoben, andere finden online statt. Frische Luft schnappen kann er auf seinem Balkon. Schließlich ist es immer "ein ganz schöner Aufriss", wenn er das Haus verlässt. "Spontan vor die Tür gehen ist nicht", sagt der Carnegie Fellow. "Handdesinfektionsmittel, dann Latexhandschuhe und Gesichtsmaske an. Dann wie ein Kampf-Ninja in den Aufzug - bloß nichts anfassen. Und wenn man mit einem von den Miet-Fahrrädern hier fahren will, muss man da auch erst alles desinfizieren."
Seit zwei Wochen geht das so - und daran ändern wird sich in den nächsten vier, oder vielleicht sogar acht Wochen vermutlich nichts. Doch zu was machen ein oder zwei Monate sozialer Distanzierung mit den Menschen? "Ich glaube schon, dass das ganz schön an uns nagen wird", so Görlach. "Es ist gut, in dieser Zeit nicht allein zu sein. Aber New York ist bekannt als Stadt der Singles." Und für die sei eine solche Isolation bestimmt hart.
Immerhin, die U-Bahn fährt weiterhin und auch der Müll wird nach Plan abgeholt. Zeichen, dass selbst in der Krise noch einiges seinen gewohnten Gang geht. "Das ist auch wichtig für die öffentliche Ordnung", glaubt Görlach. So bleiben die Bürger der Metropole noch halbwegs gelassen. Die Stadt ist stolz darauf, nach harten Schlägen wie Hurrikan Sandy oder dem Albtraum des 11. Septembers immer wieder aufzustehen. Um diese Stärke weiß auch Görlach: "New Yorker können das."
Alexander Görlach lebt seit Juli 2018 in New York. Der promovierte Linguist und Theologe ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien.