Götterdämmerung für Theresa May
24. März 2019Theresa May hat das Wochenende auf ihrem Landsitz Chequers verbracht. Aber statt Ruhe oder Entspannung standen Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg, Dominic Raab und Ian Duncan Smith vor der Tür. Eine kleine Auswahl aus der Riege der potentiellen Königsmörder trat bei ihr an, um sie erstens vor Kompromissen beim Brexit zu warnen und zweitens nach dem Datum ihres geplanten Rücktritts zu fragen. Die Verschwörer zeigten zumindest schon den Dolch im Gewand.
Gibt es einen Übergangs-Premier?
In London gibt es unterschiedliche Berichte über das Ausmaß einer anstehenden Kabinettsrevolte. Nun hat Theresa May Rücktrittsdrohungen in der Vergangenheit immer wieder überlebt. Aber nach der Tournee der Unzufriedenen durch die sonntäglichen Polit-Talkshows wurde deutlich, dass selbst früher loyale Minister wie Philip Hammond nicht mehr verbergen, dass Endzeitstimmung herrscht. Zwar sagte der Finanzminister, es gehe nicht in erster Linie um Theresa May, räumte aber auch ein:"Offen gesagt, die Leute sind sehr frustriert."
Die Stimmung scheint sich wirklich gewendet zu haben. Quasi alle Zeitungen beschreiben das Ergebnis des EU-Gipfels vom Donnerstag als "Demütigung". Und während einige der konservativen Brexiteers mittlerweile anbieten, Mays Austrittsabkommen doch noch zu unterstützen, wenn May freiwillig ein Rücktrittsdatum anbietet, lehnen die Hardliner in der Partei sogar diese Lösung ab.
Um die anhaltende Regierungskrise zu beenden und das neue Datum für einen möglichen harten Brexit am 12. April abzuwenden, bringen gemäßigte Tories jetzt die Idee eines Übergangspremier ins Spiel.
David Lidington
Gehandelt wird für den Job Mays quasi Stellvertreter David Lidington. Er gilt als sicherer Steuermann in stürmischer Zeit und als einer der wenigen Erwachsenen in Mays Kabinett, der auch die Achtung der Hinterbänkler im Parlament genießt. Lidington ist zurückhaltend und kompromissfähig. Er hatte dem Unterhaus schon vor dem Wochenende zugesagt, die Krise durch eine Reihe von Abstimmungen zu lösen und dabei auch weichere Formen des Brexit auf den Tisch zu legen. Außerdem gilt er als akzeptabler Unterhändler auch für die EU, weil er keine Extrempositionen vertritt.
Was ihn auszeichnet und Unterstützer anzieht ist die Tatsache, dass er immer wieder betont, das Premier-Amt nicht zu wollen. "Ich habe überhaupt keinen Wunsch, von Theresa May zu übernehmen". Nur Wahnsinnige könnten sich danach sehnen, hatte er schon früher erklärt. Andererseits steht Lidington für einen Kompromiss-Brexit, weshalb ihn die Hardliner bis aufs Blut bekämpfen dürften.
Für einen Übergangs-Regierungschef spricht auch, dass bis zum nächsten Brexit-Datum in drei Wochen überhaupt nicht genug Zeit ist für einen regelrechten Wettbewerb um die Amtsnachfolge in der Downing Street. Was aber eine Reihe von Kandidaten nicht davon abhält, ihre Mäntel in den Wind zu hängen und laut mit den Füßen zu scharren.
Boris Johnson
Er wird allgemein nur Boris genannt und wollte schon nach dem Brexit-Referendum 2016 unbedingt Premierminister werden. Damals aber wurde er von seinem Mitstreiter Michael Gove kurz vor dem Ziel gemeuchelt. Inzwischen hat Boris Johnson seine blonde Zottelmähne schneiden lassen und an Gewicht abgenommen, was Freund wie Feind als Zeichen für erneut aufgeflammten Ehrgeiz deuten.
Allerdings gilt er als schlechtester Außenminister der jüngeren britischen Geschichte. Er verschlimmerte durch haltloses Gerede die Lage der im Iran inhaftierten Nazanin Zaghari-Ratcliffe, log während der Brexit-Kampagne bis sich die Balken bogen und sagte unlängst über die Führungsspitze der EU :"Ich weiß nicht, wie man diese Bastarde raus werfen kann." Er lobt seit Monaten die Vorzüge eines harten Brexit und wäre als Verhandlungspartner in Brüssel das ultimative Desaster.
Außerdem wird Boris vielfach als charakterlos und egoman beschrieben. Und sein berühmter exzentrischer Charme ist für Außenstehende kaum nachzuvollziehen. Wie gut seine Karten für die Nachfolge von Theresa May sind, ist jedoch schwer einzuschätzen: In der Öffentlichkeit wird er von vielen inzwischen verachtet, an der Basis der konservativen Partei soll er weiter viel Unterstützung haben.
Michael Gove
Er war der zweite Mann im Brexit-Duo, das 2016 um die Downing Street kämpfte. Gove besiegelte sein Schicksal dadurch, dass er kurz vor der Entscheidung Boris Johnson in den Rücken stach und ihn als ungeeignet für das Regierungsamt beschrieb. Dem stimmten zwar auch bei den Tories manche zu, aber als Königsmörder disqualifizierte Michael Gove sich damit selbst.
In der ersten Regierungsbildung von Theresa May blieb er danach außen vor. Erst nach der verhagelten Wahl 2017 bot sie ihm den zweitrangigen Posten des Umweltministers an. Seitdem arbeitet Gove an seiner Rehabilitation, hält sich politisch bedeckt und ist ziemlich loyal gegenüber May. Von ihm ist aus der Brexit-Kampagne der Satz überliefert, dass Großbritannien danach alle Karten in der Hand halten werde.
Gove kann immerhin kohärente Pläne für politische Vorhaben entwickeln, wenn ihm neben dem Charakterproblem auch weiterhin der Ruch des Musterschülers anhaftet. Er ist fleißig, liest Akten und hat sogar Ideen. Allerdings verströmt Michael Gove das Charisma eines Klassenbesten und kann nicht mal bei seinen Anhängern Zuneigung erwecken.
Unter ferner liefen
Die Liste der Anwärter Marke "Unter ferner liefen" ist schier endlos. Dazu gehören auch der frühere Brexit-Minister David Davis, der sich durch seine besonders desinteressierte, uninformierte und berühmt aktenfreie Verhandlungsführung mit der EU auszeichnete. Allerdings ist es zuletzt stiller um ihn geworden.
Auch der zweite Ex-Brexit-Minister, der in Brüssel ein ähnlich ahnungsloser Unterhändler war, versucht sich jetzt als Premierminister-Kandidat und sucht die Unterstützung harter Brexiteers. Dominic Raab räumte in einer Anhörung ein, dass er das irische Karfreitags-Abkommen nicht einmal gelesen hatte, über das er doch mit der EU verhandelte. Raab dürfte ein bis zwei Lichtjahre von einer Mehrheit entfernt sein.
Zu den Möchtegern-Kandidaten gehört auch Innenminister Sajid Javid. Der frühere Bankmanager ist erst seit 2014 im Kabinett - und was ihn für das Amt des Premierministers befähigen könnte, wissen nur er selbst, seine Frau und seine drei engsten Freunde. Immerhin hat er einige der schlimmsten Fehler von Theresa May als frühere Innenministerin aufgefangen.
Genannt wird auch hin und wieder die frühere Innen- und jetzige Arbeitsministerin Amber Rudd. Im politischen Spektrum der Tories gilt sie eher als Liberale. Rudd ist sowohl fähig als auch sympathisch, aber leider eine EU-Freundin, was ihre Chancen auf Mays Nachfolge daher wie Butter in der Sonne schmelzen lässt.
Auch Fraktionsführerin Andrea Leadsom macht sich irgendwie Hoffnungen. Sie fiel aber schon 2016 aus dem Rennen und hat seitdem weder an politischer Statur noch an Überzeugungskraft gewonnen.
Und schließlich gibt es noch Jungspunde wie Verteidigungsminister Gavin Williamson, der allerdings unlängst mit der Entsendung britischer Kriegsschiffe in das Südchinesische Meer drohte, was ihn auch irgendwie disqualifiziert.
So ziemlich der einzige in Mays Umgebung, der nicht auf ihre Nachfolge schielt, ist der skandalgeplagte Verkehrsminister Chris Grayling. Als er unlängst für den Fall eines harten Brexit zusätzliche Fähren für den Einsatz zwischen Dover und Calais mieten sollte, bestellte er sie bei einer Firma, die nicht eine einzige Fähre hat. Das Land lachte über "Failing Grayling".