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Gül unterschreibt Internetgesetz

Senada Sokollu20. Februar 2014

Der türkische Präsident Abdullah Gül hat sein Vetorecht nicht genutzt und wird in den sozialen Netzwerken heftig kritisiert - er sei mitverantwortlich für die Einschränkung der Meinungsfreiheit.

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Internet Cafe in Istanbul (Photo credit should read UGUR CAN/AFP/Getty Images)
Das Internet wird in der Türkei strenger kontrolliertBild: Ugur Can/AFP/Getty Images

Bis zum Schluss lagen die Hoffnungen der Regierungsgegner, aber auch die von ganz normalen Internetnutzern in der Türkei auf dem Staatspräsidenten. Vergeblich - mit seiner Unterschrift setzte Abdullah Gül am Dienstag (18.02.) das umstrittene Gesetz über eine verstärkte staatliche Kontrolle über das Internet in Kraft. Dadurch kann die Regierung ab sofort Internetseiten ohne vorherigen Gerichtsbeschluss sperren lassen. Außerdem müssen Onlineanbieter von nun an die Daten von Nutzern bis zu zwei Jahre lang auf Vorrat speichern, um sie Behörden zugänglich zu machen.

Das von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP eingebrachte Gesetz war kürzlich vom türkischen Parlament verabschiedet worden - die AKP verfügt hier über eine absolute Mehrheit. Regierungskritiker hatten Gül mehrmals öffentlich dazu aufgefordert, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen und das Gesetz zur Überarbeitung ans Parlament zurückzuschicken. Sie sehen in den neuen Regelungen einen weiteren Versuch der Regierung unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan, die Meinungsfreiheit im Land zu untergraben und den autoritären Regierungsstil weiter auszubauen. Die Türkei liegt bereits jetzt im internationalen Vergleich der Pressefreiheit weit hinten: auf der kürzlich veröffentlichten Liste von "Reporter ohne Grenzen" rutschte sie innerhalb eines Jahres um 50 Ränge ab - auf Platz 154 von 180 Ländern.

Türkei Premierminister Erdogan Präsident Gül (Foto: imago/Xinhua)
Präsident Gül (l) wollte keinen Konflikt mit dem Ministerpräsidenten Erdogan (r)Bild: imago/Xinhua

Protest im Internet

Abdullah Gül ist selbst durchaus ein Verfechter moderner Kommunikationswege - und so ließ der türkische Präsident über den Kurznachrichtendienst Twitter die Öffentlichkeit wissen, dass er das umstrittene Internetgesetz unterschrieben hatte. Im Minutentakt machten die User daraufhin unter dem Hashtag #Gül ihrer Enttäuschung Luft: "Die Türkei will definitiv nicht mehr in die EU" oder "Gut, dass die Türkei nur ein Urlaubsort für mich ist und bleibt. Internet-Kontrolle Pfui!" - so lasen sich die Reaktionen auf Gül´s Tweet. Und unter dem Hashtag #UnFollowAbdullahGul riefen Aktivisten dazu auf, aus Protest dem Präsidenten die digitale Gefolgschaft aufzukündigen - innerhalb von vier Stunden verlor Gül rund 50.000 seiner ursprünglich 4,4 Millionen "Follower". Auch den Grund seiner Entscheidung erläuterte der Präsident per Kurznachrichtendienst: Er habe das Gesetz erst unterschrieben, nachdem ihm die Regierung eine Änderung in kritischen Passagen zugesichert hätte. "Vor allem in zwei Punkten gibt es Probleme", so Gül.

Einer der umstrittensten Regelungen des neuen Gesetzes ermächtigt die der Regierung unterstellten Telekommunikationsbehörde, ohne jeglichen Gerichtsbeschluss Internetbetreiber aufzufordern, eine bestimmte Information oder gesamte Webseiten zu entfernen. Die Betreiber müssen die Aufforderung innerhalb von vier Stunden umsetzen. Jetzt willigte die Regierungspartei AKP offenbar ein, das Gesetz an genau diesem Punkt zu ändern. Wie CNN Türk und die Nachrichtenagentur dpa berichten, soll die Aufsichtsbehörde nun nach der Sperre einer Seite binnen 24 Stunden ein Gericht einschalten und den Zugang dann wieder freigeben müssen, wenn es keine richterliche Zustimmung gibt. Auch die geplante Vorratsdatenspeicherung soll entschärft werden - nun sollen lediglich die von den Providern an die Nutzer vergebenen IP-Nummern protokolliert werden, nicht aber die von den Usern besuchten Webseiten. Kommunikationsminister Lutfi Elvan versicherte, dass die Regierung dem Parlament die Gesetzesänderungen vorstellen werde, sobald Gül unterschrieben habe.

Parlament in Ankara (Foto: ALTAN/AFP/Getty Images)
Das Parlament muss noch über die veränderte Fassung des Gesetzes abstimmenBild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images

"Das Grundproblem des Gesetzes bleibt bestehen"

Der Rechtswissenschaftler Yaman Akdeniz sieht nicht nur das Gesetzgebungsverfahren mit der so kurzfristig nachgeschobenen Änderung sehr kritisch, für ihn ändern auch die angekündigten Entschärfungen nichts an der grundsätzlichen Problematik: "Das ist nicht mehr als die berühmte Möhre, die man dem Esel am Stock unerreichbar vor das Maul hängt. Die Sperre bleibt eine Entscheidung der Exekutive, das Gericht wird danach aufgefordert, diese Entscheidung zu überprüfen. Viel besser wäre es gewesen, die Telekommunikationsbehörde komplett außen vor zu lassen." Für Akdeniz bleibt das neue Gesetz ein Instrument für die Regierung, Internetinhalte und Internetnutzung zu kontrollieren; ein "Orwellscher Alptraum, der der freien und offenen Gesellschaft schadet."

Auch der Politikwissenschaftler und Kolumnist Cengiz Aktar zeigt sich pessimistisch. Aktar verweist auf den Korruptionsskandal, in den die Regierung seit dem vergangenen Dezember verwickelt ist. Im Internet kursieren seitdem unter anderem Telefongespräche zwischen hochrangigen Wirtschaftsbossen und Politikern, die diese Verfehlungen dokumentieren. "Die Regierung will durch das neue Internetgesetz den Korruptionsskandal verdecken. Das ist der Hintergrund des Gesetzes. Der Präsident spielt dieses Spiel der Regierung mit. Sie kümmern sich nicht um die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit. Es interessiert sie einfach nicht." Außerdem habe Präsident Gül der Regierung in der angespannten Situation nicht noch mehr Probleme aufhalsen wollen - das sei der Grund gewesen, warum er das Gesetz unterschrieben habe, glaubt Aktar.

Cengiz Aktar (Foto: privat/DW)
Cengiz Aktar: "Die Regierung will den Korruptionsskandal verdecken."Bild: privat

Rechtsexperte Akdeniz weist im DW-Gespräch zudem auf die letztlich begrenzte Macht des Präsidenten bei Gesetzesinhalten hin: "Wenn er ein Veto eingelegt hätte, dann hätte er die Entscheidung nur verschieben können. Das Gesetz wäre zurück ans Parlament gegangen und dann wieder zurück zu ihm. Er hätte es ohnehin irgendwann unterschreiben müssen".