Güterbahn: Firmen am Zug
23. Mai 2021300.000 Tonnen Stahl und Beton transportierte die Spedition Wilhelm Haver im Jahr 2020 auf der Schiene. Das Ahlener Familienunternehmen mit rund 150 Beschäftigten und 100 Fahrzeugen ist ein mittelständischer Logistikdienstleister für die Stahl- und Autoindustrie und beliefert Kunden bundesweit.
Haver kaufte das Areal einer früheren Waschmaschinenfabrik, baute es zum Logistikzentrum um und reaktivierte vor zwei Jahren den Gleisanschluss. Die zweieinhalb Kilometer langen Gleise zum Ahlener Güterbahnhof waren lange nicht in Betrieb gewesen. Acht Millionen Euro investiert die Spedition, um die Anlage auf den neuesten Stand zu bringen: Ein Teil der Mittel kommt aus dem Fördertopf des Bundesverkehrsministeriums. "Wir bewegen riesige Massen", sagt Firmenchef Haver. Jeder komplette Zug ersetze 80 bis 100 Lkw.
Früher siedelten sich Unternehmen gezielt in die Nähe der Bahngleise an. Für Auto- und Chemiekonzerne wie Ford in Köln, BASF in Ludwigshafen oder Henkel in Düsseldorf gehört die Werkslokomotive nach wie vor zum Logistikkonzept. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts kündigte die Deutsche Bahn im Zuge ihrer Reform jedoch alle für sie nicht rentablen Anbindungen. Seitdem sind mehr als 9000 Firmenanschlüsse bundesweit verschwunden. Im Jahr 1997 gab es laut Allianz Pro Schiene noch rund 11.000.
Zu langsam und zu teuer
Aus den ehemals drei Anschlüssen für drei Standorte bei Eisenbau Krämer (EBK) sind anderthalb übriggeblieben. EBK-Recklinghausen nutzt seinen intensiv. Das Werk biegt und schweißt dicke Stahlplatten zu riesigen Rohren. Sie bilden die Fundamente von Offshore-Plattformen, tragen Brücken, Stadien oder Windräder. Der Stahl kommt per Zug bis in die Werkshalle. "Wir nutzen unseren Gleisanschluss auch, um besonders lange und großvolumige Rohre zu verladen, die wir als Schwerlast nicht mehr so einfach über die Straße transportieren können", sagt Matthias Preis, Leiter Transport und Logistik von EBK.
Am Firmensitz in Kreuztal dient der Gleisanschluss dagegen aktuell nur noch dem Wareneingang. "Einen Ausgang haben wir dort leider nicht mehr", so Preis. Wegen der stark angezogenen Frachtpreise lohne es sich nicht mehr, kleinere Rohre per Zug zu liefern. Auch seien sie dann doppelt so lang, manchmal sogar noch viel länger unterwegs als mit dem Lkw. Das Werk Kreuztal fertigt Leitungsrohre bis 13 Meter: Die passen perfekt auf einen Lastwagen. Am dritten EBK-Standort ebenfalls in Kreuztal wurden die Gleise als nicht rentabel vor gut 20 Jahren herausgerissen.
Das Netz schrumpft
Seit 2004 fördert die Bundesregierung den Neu- und Ausbau wie auch die Reaktivierung privater Gleisanschlüsse. Bisher hat das Programm wenig gefruchtet: Während Tausende Kilometer Schienen, Schwellen und Weichen munter weiter stillgelegt wurden, entstanden nur wenige Hundert neue.
Doch das aktuelle Förderprogramm, im März 2021 gestartet, ist ehrgeiziger. Die Mittel sind verdoppelt worden, die Planungen sollen zügiger ablaufen. 200 Millionen Euro stehen für die nächsten fünf Jahre für Einzelunternehmen und Industrieparks bereit. Zudem senkt der Bund die Trassenpreise, eine Art Schienen-Maut, sogar rückwirkend. Das kommt auch den Wettbewerbern der Deutschen Bahn zugute, die oft Nebenstrecken bedienen.
Die Ziele ließen sich jedoch nur mit einem Neu- und Ausbau des Schienennetzes insgesamt erreichen, sagte der Geschäftsführer der Allianz Pro Schiene, Dirk Flege, im März. Denn dort herrsche mittlerweile ein richtiges Gedrängel. Auch Lkw stehen öfter im Stau, aber das Straßennetz wächst, während das Schienennetz schrumpft: Nach Angaben des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses um 15 Prozent seit 1995. Zwar habe der Staat seinen Eisenbahnetat in den letzten Jahren erhöht: Aber das reiche nur dafür, die Schrumpfung aufzuhalten. Für den Ausbau brauche es eine Investitionsoffensive.
Mehr Geld für den Warenumschlag von der Straße auf die Schiene
2019 haben der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), die Allianz Pro Schiene, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und weitere Verbände eine Gleisanschluss-Charta unterzeichnet. Sie fordern, dass das öffentliche Netz modernisiert, digitalisiert und kostengünstiger wird. Beim Bau eines Gewerbegebiets soll der Anschluss an die Bahn gleich mitgeplant werden. Dafür ist allerdings auch Platz nötig.
Derzeit werden Nebentrassen, Abstellgleise und Rangieranlagen abgebaut und umgewidmet. Das soll sich ändern. Hier müssten die Kommunen, so die Charta, Flächen dauerhaft sichern, auch wenn die Infrastruktur derzeit brachliegt und es sich oft um innerstädtische Filetgrundstücke handelt.
Marcus Gersinske, Fachbereichsleiter Ressourcenmanagement Eisenbahn beim VDV, verzeichnet nun mehr Anfragen seitens der produzierenden Unternehmen, des Handels und der Kommunen zu der neuen Anschluss-Förderung. Positiv sieht er besonders, dass es mehr Geld für multifunktionale Umschlaganlagen bei mittelständischen Speditionen gibt. Zu denen können kleinere Betriebe, die sich keinen eigenen Anschluss leisten können, ihre Produkte per Lkw bringen, um sie dort gebündelt auf die Schiene zu verladen.
"Die Bahn ist zwar nicht ganz so flexibel wie der reine Lkw-Transport, aber die Massen, die wir bewegen, lassen sich per Lkw kaum abhandeln", sagt Wilhelm Haver. Er schickt meist komplette Züge auf den Weg zu den Kunden. Im Gegensatz zu Einzelwaggons, die zu Kompositionen zusammengesetzt werden müssen, haben sie kaum Standzeiten.
Der Spediteur hat vor, den Schienenweg künftig intensiver zu nutzen - und zwar nicht nur für Schwerlasten. Demnächst will er auch Container auf den Zug verladen und baut seine Anlagen aus: "Über die Schiene lässt sich grundsätzlich alles transportieren."