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Haarrisse der Weltgeschichte

Frank Sieren28. März 2014

Vor allem der Deutschlandteil der ersten Europareise des neuen chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping ist wegen der Krimkrise sehr knifflig, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Angela Merkel Xi Jinping
Bild: picture-alliance/dpa

Es war doch alles so schön vom chinesischen Protokoll vorbereitet: Zuerst reiste der neue Staatspräsident Xi Jinping schon vor einem Jahr nach Russland, dann nach Afrika und nun im März nach Europa, wo er die devoten Franzosen und die verlässlichen Deutschen besucht und auch kurz im unübersichtlichen Brüssel vorbeischauen wird. Ein Staatsbesuch in den USA wird erst später folgen, schon im letzten Jahr waren Xi und Barack Obama inoffiziell in Kalifornien zusammengetroffen. Soweit die politische Rangfolge aus den Augen den Chinesen. Doch dann kam die sperrige politische Realität dazwischen. Putin holte sich die Krim und ein unglaubliches Durcheinander entstand, "luan" wie man in China sagt. So etwas mag die chinesische Politik überhaupt nicht.

Nun ist es gar nicht mehr so wichtig, welche Tonlage Bundespräsident Joachim Gauck bei dem Staatsempfang zu Ehren Xis wählt. Gauck hat ja mit den Menschrechtsverletzungen der stabilen kommunistischen Diktatur mehr Probleme als mit nicht minder schweren Menschenrechtsproblemen einer instabilen indischen Demokratie. Darauf war Peking lange fokussiert. Doch nun werden Gaucks Formulierungen vom Knarzen der globalen tektonischen Platten übertönt.

Störfaktor Krimkrise

Wichtig ist nun, wie die Kanzlerin sich innerhalb der westlichen Linie zur Krimkrise positioniert. Eine Linie, die sich seltsam hochgeschaukelt hat: Den Potentaten Putin isolieren, ihm drohen, sich einmischen, schnell und eindeutig Position beziehen und die Lage in Gut und Böse unterteilen. Die alte Masche des 20. Jahrhunderts eben.

Frank Sieren
DW-Korrespondent Frank SierenBild: Frank Sieren

Die chinesische Diplomatie ist da eher zurückhaltend. Da mag Unsicherheit eine Rolle spielen. Aber auch eben auch eigene politische Einstellungen. Peking erstickt globale Konflikte nicht gern mit schnellen, kurzsichtigen Lösungen. Denn der Schwelbrand, der dann weiter glüht, kann später ein viel größeres Feuer entfachen. Wie seine Vorgänger hält Xi zudem wenig von politischer Isolation. Je schwieriger die Lage, desto enger muss der Kontakt sein, um eine politische Lösung zu finden. Das gilt für Nordkorea ebenso wie für den Iran und selbst für die Taliban in Afghanistan. Und man redet mit ihnen, aber ungern darüber: stille Diplomatie.

Xi muss aus der Deckung

Doch die brenzlige Lage in Osteuropa zwingt Xi nun aus der Deckung. Er muss spontan und aktuell reagieren. Das liegt chinesischen Politikern nicht. Aber es bleibt ihm nichts anderes übrig. Denn er kann die Krimkrise nicht ignorieren.

Weil Merkel zu den Besonnensten in diesem aufgeregten westlichen Reigen gehört, ist ihre Position für Xi am wichtigsten. Dass die Franzosen sich als Grande Nation aufspielen, ist klar, dass Brüssel jetzt ganz wichtig tut und die Ukraine nun schon fast als EU Mitglied betrachtet, ist nicht verwunderlich. Und dass die Amerikaner den Russen nichts Gutes wünschen, überrascht Peking nicht. Merkel hingegen gilt in Peking als verlässlich und pragmatisch.

Deshalb ist das Treffen mit Merkel das wichtigste auf der Reise. Xi muss versuchen, Merkel für die chinesische Sicht der Krimfrage zu erwärmen. Er wird Merkel davon überzeugen wollen, dass es ein politischer Fehler war, Russland aus der G8 auszuschließen. Und er wird deutlich machen, dass dies bei den G20 Treffen - bei denen China inzwischen eine zentrale Rolle spielt - sicherlich nicht gelingen würde.

Xi wird Merkel auch von seinen Sorgen berichten: Die sture Herablassung des Westens könnten Putin unter innenpolitischen Druck setzen, seinem Volk noch deutlicher als bisher zu zeigen, dass er ein ganzer Kerl ist. Dann muss er mehr holen als nur die Krim.

Haarrisse statt Kerben

Am kleinsten ist die Schnittmenge zwischen Xi und Merkel in der Frage, was von Putin zu halten ist. Für Xi ist Putin ein machtvoller Mann in einem wichtigen Nachbarland, mit dem man enger zusammenarbeiten will. In Peking gilt Putin zudem als eine der besseren unter gegenwärtig in Russland denkbaren Alternativen. Bei den Chinesen ist Putin als starker Mann beliebt. Und die Ukraine wiederum ist ein interessanter Wirtschaftspartner, der in Peking auch Waffen bestellt.

Xi wird Merkel also durch die Blume ermutigen, die verblassende Wertegemeinschaft des Westens, die nun durch Putin ihren vielleicht letzten Frühling erlebt, noch mehr als bisher zu hinterfragen. Daran genau lässt sich der Erfolg von Xis Reise messen: Wieviel von dem, was Xi ihr erzählt, wird sie bedenkenswert finden? Und in welchen Nuancen wird sie vielleicht sogar öffentlich ihre bisherige Position pragmatisch modifizieren?

Aber auch Merkel muss vorsichtig sein. Unter dem Verdacht zu stehen, den Chinesen nach dem Mund zu reden, ist mindestens so gefährlich, wie Verständnis für Putin zu zeigen - auch wenn Teile der deutschen öffentlichen Meinung sich langsam drehen. Merkel will sich nicht vorwerfen lassen müssen, dass es den Chinesen gelungen sei, einen Keil zwischen sie und den Westen zu schlagen. Die Chinesen sind bescheiden genug, nicht darauf zu hoffen. Es geht bei diesem Besuch also mehr um Haarrisse als um Kerben. Aber um Haarrisse, die Weltgeschichte machen können.

DW-Korrespondent Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.