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Politik

Haarrisse in belgischen AKW schon seit dem Bau

22. September 2017

Sie sind seit Jahrzehnten am Netz - die belgischen Atommeiler Tihange 2 und Doel 3. Doch schon während ihrer Errichtung 1975 wurden dort nach "Spiegel"-Informationen Haarrisse entdeckt, an besonders kritischen Stellen.

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Belgien Atomreaktor Tihange 2
Ein massives Sicherheitsrisiko: das belgische Atomkraftwerk Tihange 2 Bild: Getty Images/AFP/J. Thys

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" bezieht sich auf interne Sitzungsprotokolle und Analysen, die die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC der deutschen Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl zur Verfügung gestellt hat. Demnach wurden bereits ab April 1975 Risse in Bauteilen für die Reaktordruckbehälter von Tihange 2 und Doel 3 festgestellt. In den Behältern befinden sich unter anderem die nuklearen Brennstäbe. Das bedeutet, die Behälter sollen die Umwelt vor der gefährlichen radioaktiven Strahlung schützen.

Laut "Spiegel" wurden die problematischen Teile eingebaut, obwohl sie nach Einschätzung eines belgischen Gutachters nicht die Anforderungen an höchste Qualität erfüllten. Das AKW Tihange liegt knapp 60 Kilometer von Aachen entfernt, das AKW Doel etwa 140 Kilometer von der deutschen Grenze. Käme es dort zu einer Katastrophe, wären auch weite Teile Deutschlands betroffen.

Belgien Doel Atomkraftwerk
Das AKW Doel, weniger als 20 Kilometer von Antwerpen entfernt Bild: picture-alliance/dpa/O. Ghani

Betreiber wiegelt ab

2012 wurden erstmals massive Sicherheitsprobleme in den beiden belgischen Meilern publik. Die AKW mussten zunächst ihren Betrieb einstellen. 2015 wurden bei weiteren Überprüfungen tausende Haarrisse sowohl in der Reaktorhülle von Tihange 2 als auch in Doel 3 entdeckt. Der Betreiber Engie Electrabel behauptete, es seien im Laufe der Jahre nicht mehr Haarrisse geworden, sondern die Messgeräte seien anders positioniert gewesen und dadurch seien diese Stellen erst sichtbar geworden. Die belgische Atomaufsicht gab Entwarnung, die beiden Kraftwerke gingen wenige Monate später wieder ans Netz.

Sylvia Kotting-Uhl Parteitag Grüne Baden-Württemberg
Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, kämpft seit Jahren für die Abschaltung der Risiko-Meiler Bild: picture alliance/dpa/L. Mirgeler

2016 sprach das Bundesumweltministerium von Schwächen in den belgischen Untersuchungen und legte die Abschaltung der Reaktoren nahe, was die Regierung in Brüssel jedoch ablehnte. In Deutschland formierte sich daraufhin Widerstand. Im Juni dieses Jahres demonstrierten 50.000 Atomkraftgegner mit einer gut 90 Kilometer langen Menschenkette, die von Aachen über das niederländische Maastricht und Lüttich in Belgien bis zum AKW Tihange reichte, für die sofortige Abschaltung dieses Meilers und von Doel 3, das bei Antwerpen liegt. Anfang September begannen die deutschen Behörden vorsorglich damit, an die Bevölkerung in Aachen Jodtabletten zu verteilen, damit die Schilddrüse im Falle eines atomaren GAU kein radioaktives Jod aufnimmt.

Aachen: Jod als "Beruhigungspille" gegen Tihange

Auch belgische Forscher für Stilllegung von Tihange und Doel

Nach einer weiteren Studie, über die der öffentlich rechtliche belgische Rundfunksender RTBF vor einigen Tagen berichtete, empfehlen belgische Wissenschaftler das unverzügliche Abschalten der Atomkraftwerke. Die Vielzahl der Mikrorisse in den Reaktorbehältern gefährde die Stabilität der Meiler, schlussfolgerten die Forscher der Universität Löwen in der belgischen Region Flandern. Als Grund für die Risse nannte der Betreiber winzige Einschlüsse von Wasserstoff im Stahl, was ein Fabrikationsfehler sei. Dies sei für sich genommen ungefährlich.

Die Forscher schließen aber nun aus der gestiegenen Zahl an gemessenen Rissen im Stahl des Reaktordruckbehälters, dass sich dort weiterer Wasserstoff bildet. Die Hülle der Reaktorbehälter werde dadurch zu schwach für einen Weiterbetrieb.

Die belgische Atomaufsicht wies die Sicherheitsbedenken laut dem Rundfunksender zurück. Es lägen Analysen anderer Experten vor, die zu einer gegenteiligen Einschätzung kämen, hieß es. Es gebe keinen Anhaltspunkt für eine erforderliche Schließung der Kraftwerksblöcke.

se/jj (dpa, spiegel, afp)