Haiti - die Perle der Antillen verliert ihren Glanz
30. April 2008Eine Insel, zwei Staaten: Haiti und die Dominikanische Republik teilen sich das Eiland Hispaniola. Eine Insel, die zu den höchsten Erhebungen in der Karibik gehört. Und einst zu den schönsten: Berge erstrecken sich bis zu 2500 Meter in die Höhe, dazwischen immer wieder tiefe Schluchten, Wasserfälle und Höhlen. Doch das Bild vom Naturparadies trügt.
Abgeholzte Berghänge und politische Instabilität
Überfliegt man den Westteil der Insel, Haiti, sieht man kahl geschlagene Bergkuppen. Vom Baumbestand, der ehemals rund 80 Prozent der Insel bedeckte, sind heute gerade einmal 2 Prozent übrig geblieben. Der radikale Schwund hat mehrere Gründe: In der Kolonialzeit wurde für den Anbau von Zuckerrohr radikal abgeholzt. Heute bedient man sich des Waldes als Energielieferant: Kohle und Holz sind die mit Abstand wichtigsten Energielieferanten für eine rasant wachsende Bevölkerung.
Auf einem Markt in der Hauptstadt Port-au-Prince, wo Holzkohle verkauft wird, sind sich viele des Problems bewusst. „Ja, klar weiß ich, dass dafür Bäume gefällt werden – aber ich habe doch gar keine andere Wahl“, sagt Marktfrau Jeanetta. Alternative Energiequellen wurden bislang nicht erschlossen – und Umweltpolitik steht nicht gerade als Priorität auf der politischen Agenda Haitis. Wie auch! Das Land ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von schweren politischen Unruhen erfasst worden: Staatsstreiche, ausländische Interventionen und Diktaturen kennzeichneten die politische Situation und stürzten das Land in ein Chaos. Kein anderes Land in der westlichen Hemisphäre ist heute so arm wie Haiti.
Der Fluch der Armut
Armut lässt kaum Spielraum für ökologisches Denken. Mit gravierenden Folgen für die Armen selbst: Sie sind es, die den Naturgewalten am stärksten ausgesetzt sind. Das hat sich einmal mehr beim schweren Tropensturm „Jeanne“ im Jahr 2004 gezeigt: Mehrere tausend Menschen wurden durch Überschwemmungen, Erdrutsche und hohe Wellen getötet. Dabei war „Jeanne“ nicht einmal ein besonders schwerer Sturm. Doch schon heftige Regenfälle führten dazu, dass ganze Dörfer wie vom Erdboden verschwanden.
Das kleine Bergdorf Fonds Verrettes im Südosten des Landes zum Beispiel versank buchstäblich im Wasser. Weil der herabstürzende Regen aufgrund der Bodenerosion nicht mehr versickern konnte, schossen die Wassermassen mit voller Wucht zu Tal und rissen alles mit sich. Da, wo früher Häuser standen, zeugt heute nur noch eine breite Geröllschneise von der Katastrophe.
Kann Voodoo helfen?
Die zunehmende Zerstörung der Natur ist ein Phänomen der jüngeren Geschichte Haitis, meint Voodoo-Forscher Laennec Hurbon. Denn nach dem haitianischen Voodoo-Kult hat gerade der Baum eine besondere Stellung: In ihm können mächtige Geister wohnen – dementsprechend ist jeder Baum ein heiliger Ort. Mit der Missionierung und Christianisierung Haitis verlor dieser Glaube seine Kraft, bedauert Hurbon. Der Voodoo habe die Menschen gelehrt, Respekt vor der Natur zu haben und sie nicht auszubeuten. Davon ist heute nur noch wenig übrig geblieben.
Privat organisierter Umweltschutz hilft!
Zwar gibt es in Port-au-Prince ein Umweltministerium, aber in der Praxis macht sich diese Institution kaum bemerkbar, kritisieren haitianische Umweltaktivisten. Auch sie kennen das Dilemma, dass Armut wenig Platz für Umweltsorgen lässt. Doch sie argumentieren, dass man das Problem nicht länger ignorieren kann. Deshalb haben sie Privatinitiativen gegründet, die ihren Beitrag zum Erhalt der Umwelt leisten wollen – so wie im ‚Parc de la Visite’, einem Naturreservat auf Haiti. „Ich kenne die Gegend noch aus meiner Jugend – und wenn man das mit heute vergleicht, dann muss man einfach handeln“, meint Serge Cantave, der die Stiftung ‚Fondation Séguin’ mit begründet hat. Er und andere haitianische Jungunternehmer wollen hier dem Umweltgedanken Rechnung tragen. „Vor allem Kinder und Jugendliche sollen für die Natur und ihren Schutz begeistert werden“. Denn schließlich sind sie es, die in Zukunft in Haiti leben müssen.
Autoren: Dieudonne Saincy und Tania Krämer
Redaktion: Peter Koppen