Haiti ruft nach Gefängnisstürmung Ausnahmezustand aus
4. März 2024Nach einem Putschaufruf und einer Zuspitzung der Bandengewalt hat die Regierung in Haiti den Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre für die Hauptstadt Port-au-Prince ausgerufen. Angesichts der massiven Verschlechterung der Sicherheitslage und der Erstürmung der beiden größten Gefängnisse des Landes durch kriminelle Banden gelte für die Region ein dreitägiger Ausnahmezustand, erklärte die Regierung. Die Ausgangssperre gilt von Sonntag bis Mittwoch jeweils von 18.00 Uhr bis 5.00 Uhr Ortszeit.
In der Nacht zum Sonntag hatten bewaffnete Gruppen das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince angegriffen und laut Medienberichten den meisten Insassen die Flucht ermöglicht. Der Leiter des nationalen Netzwerks zur Verteidigung der Menschenrechte, Pierre Espérance, sagte am Sonntag, vor dem Angriff seien rund 3800 Häftlinge in dem Gefängnis inhaftiert gewesen. Am Sonntag seien es nur noch rund hundert gewesen. Augenzeugen berichteten von einem Dutzend Leichen in der Nähe der Haftanstalt von Port-au-Prince.
Die Polizisten hätten die Banditen nicht daran hindern können, eine große Anzahl von Gefangenen zu befreien, die unter anderem wegen Entführung, Mord und anderen Straftaten inhaftiert waren, erklärte die Regierung. Die Kriminellen hatten ihren Angriff nach einem Bericht der US-Zeitung "Miami Herald" mit Drohnen vorbereitet, um sich über die Bewegungen der Gefängniswärter zu informieren und den besten Zeitpunkt für den Angriff zu bestimmen. Weitere Gefangene flohen offenbar aus der zweitgrößten Haftanstalt in der Stadt Croix des Bouquets, die östlich der Hauptstadt liegt. Neben den Angriffen auf die Haftanstalten wurden auch Polizeistationen attackiert.
Aufruf zum Staatsstreich
Die jüngsten Angriffe sind offenbar Teil einer koordinierten Aktion krimineller Banden, die sich unter dem Namen "Vivre Ensemble" ("Zusammen leben") zusammengeschlossen haben. Die Gewalt hatte am Donnerstag begonnen. Der mächtige Bandenchef Jimmy "Barbecue" Chérizier sagte in einem Online- Video, die gemeinsamen Aktionen rivalisierender bewaffneter Gruppen zielten auf den Sturz von Regierungschef Ariel Henry ab. Chérizier steht an der Spitze einer Bandenallianz und unterliegt Sanktionen der Vereinten Nationen und der USA.
Haiti gilt als das ärmste Land Lateinamerikas und steckt seit Jahren in einer schweren Krise, zu der neben Bandengewalt auch politische Instabilität und wirtschaftliche Not beitragen. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen nach UN-Angaben verdoppelt. Die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Jahr 2021 verschlimmerte die Sicherheitslage dramatisch. Im vergangenen Jahr meldete der Karibikstaat 8400 Morde, Verletzungen und Entführungen in Zusammenhang mit der Bandengewalt, 122 Prozent mehr als 2022. Zuletzt wurden im Monat Januar nach UN-Angaben in Haiti mehr als 1100 Menschen getötet, verletzt oder entführt. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen mussten in den vergangenen Tagen fast 15.000 Menschen ihre Häuser verlassen.
Kenia will helfen
Seit 2016 gab es keine Wahlen mehr in dem Karibikstaat. Der Posten des Präsidenten bleibt vakant. Erst vor wenigen Tagen unterzeichnete Haitis Regierungschef Henry nach monatelangen Verhandlungen und einem juristischen Tauziehen mit dem kenianischen Präsidenten William Ruto ein Abkommen über den Einsatz von kenianischen Polizeikräften in Haiti. Kenia hatte sich bereit erklärt, eine multinationale, vom UN-Sicherheitsrat gebilligte Eingreiftruppe zu leiten, um die Lage in Haiti zu stabilisieren. Nairobi will zu diesem Zweck tausend Sicherheitskräfte entsenden.
UN-Generalsekretär António Guterres hatte erst am Freitag bei dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) zu mehr Unterstützung für eine internationale Mission aufgerufen, die Haiti im Kampf gegen die Bandengewalt helfen soll.
Das Gefängnis von Port-au-Prince beherbergte nicht nur einige der prominentesten Kriminellen des Landes, sondern auch 18 kolumbianische Söldner, die des Mordes an Präsident Moïse im Jahr 2021 beschuldigt werden. Die Kolumbianer befinden sich allerdings unter den wenigen Häftlingen, die nicht die Flucht ergriffen. Das kolumbianische Außenministerium forderte die haitianische Regierung deshalb auf, seine Staatsbürger zu schützen und sie an einen sichereren Ort zu verlegen.
kle/se (epd, afp, dpa, rtr)