Halbzeit für den Anti-Draghi
1. Mai 2015Wie ein Kämpfer wirkt Jens Weidmann eigentlich nicht. Mit Brille und Seitenscheitel, sanfter Stimme und einem Lächeln auf den Lippen gibt sich der Bundesbank-Präsident stets freundlich - auch wenn seine Kritik an der Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) inhaltlich oft reichlich Sprengstoff enthält.
Seit vier Jahren ist der inzwischen 47 Jahre alte Ökonom Deutschlands oberster Währungshüter. In der ersten Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit musste er einige Niederlagen einstecken, mehrfach wurde er im EZB-Rat überstimmt. Tatsächlich mutet sein Widerstand gegen die extrem lockere Geldpolitik von EZB-Präsident Mario Draghi zuweilen an wie ein Kampf gegen Windmühlen.
Unnötige Geldflut
Die bisher letzte in einer Reihe bitterer Niederlagen musste der frühere Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar einstecken: Der EZB-Rat brachte ein billionenschweres Programm zum Kauf von Staatsanleihen auf den Weg. Nicht nur, dass Weidmann die Geldflut für unnötig hält, weil er die Ängste seiner Ratskollegen vor einem gefährlichen Preisverfall auf breiter Front nicht teilt.
Aus seiner Sicht ist auch das Risiko gestiegen, dass sich die Aufgaben von Notenbanken und Regierungen zunehmend vermischen: "Denn am Ende der Käufe werden die Staaten einen bedeutenden Teil ihrer Schulden sehr günstig durch die Notenbank finanzieren, ohne dass diese Finanzierungskosten nach dem Risiko des jeweiligen Staates differenziert würden."
Wirtschaftspolitik ersetzt Geldpolitik
Sollten sich die Regierungen an die billigen Schulden gewöhnen, könne ihre Motivation für weitere Konsolidierungs- oder Reformmaßnahmen sinken, warnt Weidmann: "Das könnte dann langfristig die Fähigkeit der Geldpolitik beeinträchtigen, Preisstabilität zu erreichen."
Weidmann ist nicht der einzige Gegner der Geldschwemme, aber wohl ihr prominentester. Durchsetzen kann er sich mit seiner Haltung meist nicht. Denn im obersten Entscheidungsgremium der Notenbank haben die "Tauben", also die Anhänger einer eher lockeren Geldpolitik - die Mehrheit.
Trotzdem haftet dem gebürtigen Solinger, den die Wochenzeitung "Zeit" als "Anti-Draghi" bezeichnete, kein Verlierer-Image an, wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer betont: "Es ist unschön, dass er häufig überstimmt wurde. Aber das ist unvermeidlich, weil er sich treu bleiben will. Ihn als Verlierer darzustellen, wäre falsch."
Kompromisse erstritten
Schon weil Weidmann durchaus auch im EZB-Rat durchsetzungsfähig ist. So erkämpfte er immerhin den Kompromiss, dass die nationalen Notenbanken einen großen Teil der Risiken aus den Staatsanleihen, die sie im Rahmen des neuen EZB-Programms kaufen, selbst tragen müssen. Zudem wurden Obergrenzen beschlossen, um sicherzustellen, dass sich die Staaten weiterhin vor allem über die Kapitalmärkte finanzieren.
Damit ist Weidmann für den Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sogar ein Gewinner: "Weil er beim Ankaufprogramm die Haftung der nationalen Notenbanken zu 80 Prozent durchgesetzt hat, obwohl er formal nicht mehr zu sagen hat als die Vertreter der kleinen Länder."
Aus Krämers Sicht ging es Weidmann darum, den Schaden so gut es geht zu begrenzen - durch einen verbindlichen Ton, Kompromissvorschläge und ein kluges inhaltliches Vorgehen: "Argumentativ ist er ein Schwergewicht im EZB-Rat." Seine größte Stärke sei aber seine Verlässlichkeit: "Weidmann ist sich und der Bundesbank-Linie treu geblieben, ohne den Konflikt mit der EZB unnötig anzustacheln."
Kein Mandat für Wirtschaftspolitik
Der Streit um die Ausrichtung der EZB-Politik ist nicht neu. Schon Draghis Versprechen aus dem Sommer 2012, den Euro um jeden Preis zu retten, trug Weidmann nicht mit. Dass die EZB in der Folge beschloss, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen, wertete er als Verstoß gegen die Kompetenzen der Notenbank. Die EZB würde so per Notenpresse Schulden von Ländern finanzieren, was sie nicht dürfe.
Auch wenn immer wieder über seinen Rücktritt spekuliert wurde: Aufgeben ist Weidmanns Sache nicht. Denn er weiß: "Ich kann meiner Aufgabe am besten gerecht werden, wenn ich im Amt bleibe." Er versuche, alles zu erreichen, was möglich sei, und seine Position unabhängig von Mehrheitsverhältnissen darzulegen, sagte er vor Jahren: "Dazu gibt es keine Alternative."
Denn bestimmte Dinge würden ohne seine Position im EZB-Rat gar nicht diskutiert. Auch deshalb bescheinigt Ifo-Chef Sinn dem Bundesbank-Präsidenten, bei der EZB eine hervorragende Arbeit zu leisten: "Seine Kritik ist vollkommen berechtigt, denn die EZB macht schon länger keine Geldpolitik mehr, sondern Wirtschaftspolitik. Dafür hat sie aber kein Mandat."