25 Jahre Hamas
14. Dezember 2012Die grünen Fähnchen der Hamas flattern in vielen Straßen in Gaza-Stadt. Gerade sind die vorgezogenen Feiern zum 25. Gründungstag am Freitag (14.12.2012) zu Ende gegangen, und auch Hamas-Führer Chaled Maschaal ist nach seinem ersten Besuch auf palästinensischem Gebiet seit mehreren Jahrzehnten wieder abgereist. Seit drei Wochen schweigen die Waffen und erst langsam kehrt der Alltag wieder ein im kleinen Gazastreifen.
In einem der vielen neuen trendigen Cafés, die im vergangenen Jahr im Zentrum von Gaza-Stadt eröffnet wurden, sitzen Farah, Lina und Mariam vor ihren bunten Fruchtcocktails. Die jungen Frauen wollen nächstes Jahr ihr Abitur machen. Im Moment drehten sich die Gedanken noch sehr um den jüngsten Konflikt, meint Farah. "Meiner Meinung nach gibt es keine Garantie, dass so etwas nicht schon bald wieder passiert", sagt die 17-Jährige. "Jetzt scheint alles erst mal geregelt zwischen der Hamas und Israel. Aber wer weiß, was als nächstes kommt?" Ihre Freundin Mariam ist im Ausland aufgewachsen, in Deutschland. Vor ein paar Jahren ist ihre Familie wieder in den Gazastreifen zurückgekehrt. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich einen Krieg erleben werde, ich kenne so etwas nur aus Geschichtsbüchern", sagt sie. "Es war schon sehr hart. Alles macht einem Angst. Und man will nur zurück nach Deutschland, wo es Frieden gibt."
"In einer guten Position"
Dass sich die Hamas als Siegerin des Konflikts sieht, sei wenig verwunderlich. "Es ist das erste Mal, dass die Leute der Hamas uns wirklich verteidigt haben. Wir waren mal nicht die schwache Seite", sagt Mariam, die sich selbst als eher unpolitisch bezeichnet. Ähnliche Worte sind dieser Tage oft zu hören in Gaza. Vor dem Konflikt war in vielen Unterhaltungen die Unzufriedenheit mit der Hamas präsent, die 2006 die Parlamentswahlen gewonnen und ein Jahr später die Macht im Gazastreifen mit Gewalt übernommen hatte.
"Die Hamas befindet sich gerade in einer guten Position", sagt Mukhaimer Abu Saada, Politikwissenschaftler an der Al-Azhar-Universität in Gaza. "Sie hat das erste Mal bei diesem Konlikt Mittelstreckenraketen gegen Tel Aviv und Jerusalem eingesetzt und hat trotz der heftigen israelischen Angriffe damit weitergemacht. Das hat der Bevölkerung das Gefühl gegeben, dass sie jemand verteidigt und in gewisser Weise auch beschützt. Und dass sie gesiegt haben. Dazu noch der Besuch von Chaled Maschaal, das hat der Hamas sehr genützt. Die Frage ist nur, wie lange diese Welle der Popularität anhält", sagt Abu Saada.
Indirekte Verhandlungen gehen weiter
Bislang hält die Waffenruhe, die am 21. November unter ägyptischer Vermittlung zwischen Israel und der Hamas vereinbart wurde. Dabei können die Islamisten kleine Erfolge verzeichnen. So dürfen neuerdings die Fischer statt drei bis zu sechs Seemeilen zum Fischen ins Meer hinausfahren. Auch soll die Pufferzone nahe der israelischen Grenzanlage verkleinert werden. Bauern, die dort ihre Felder haben, sollen wieder Zugang zu ihrem Land bekommen. Allerdings gibt es immer wieder Zwischenfälle, auch tödliche, so der neuste Bericht des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-OCHA).
Die Details des Abkommens zur Waffenruhe werden noch immer indirekt verhandelt. "Wir sind im Kontakt mit den Ägyptern, die das Abkommen garantieren", sagt der Hamas-Politiker Ghazi Hamad. "Bislang sehen wir nicht viel von den israelischen Versprechen. Sie haben bereits mehrmals das Abkommen verletzt. Wir schauen uns das jetzt eine Weile an, und werden dann unsere Schlüsse ziehen. Wir wollen aber die Ruhe einhalten, und keine neue Konfrontation." Jetzt wolle man sich zunächst dem Wiederaufbau widmen, so der stellvertretende Außenminister der Hamas. Er zählt auf die Hilfe der arabischen Staaten. Die hatten bereits während des Konflikts ihre Solidarität gezeigt - und der Hamas so geholfen, aus ihrer politischen Isolation herauszukommen.
Im Westen steht die Hamas auf der Liste der Terrororganisationen, da sie das Existenzrecht Israels nicht anerkennt und dem Terror nicht abschwört.
Wiederaufbau und neue Versöhnungsversuche
Neben den positiven Entwicklungen für die Hamas sind die Herausforderungen ihrer Regierung, die für die 1,7 Millionen Menschen zuständig ist, die in der kleinen Enklave leben, nicht weniger geworden. "Vor einem Jahr war die Hamas schon mal sehr populär, nach dem Gefangenenaustausch mit Israel", sagt der Politikwissenschaftler Mukhaimer Abu Saada. "Nach zwei Monaten sind die Leute aufgewacht und die Probleme waren die gleichen: Armut, Arbeitslosigkeit, die Blockade, Korruptionsbeschuldigungen und Verletzungen der elementaren Rechte. Da war es schnell vorbei mit der Beliebtheit."
Auch Samah Kassab hält die Hamas keineswegs für populär. Noch müssten die Leute mit dem Krieg fertig werden, so die junge Aktivistin. Gemeinsam mit anderen Bloggern und Aktivisten setzt sie sich seit langem gegen die politische Spaltung zwischen der Hamas im Gazastreifen und der Fatah im Westjordanland ein. "Ich verstehe gar nicht, wie die Leute jetzt auf die Hamas reagieren. Noch vor kurzem war jeder unzufrieden, und sie haben uns jungen Leuten und den verschiedenen politischen Fraktionen das Leben schwer gemacht. All das nur, weil sie Widerstand gegen Israel geleistet haben?"
Viel wurde in den letzten Tagen über neue Annäherungsversuche zwischen Hamas und Fatah berichtet. Seit fünf Jahren ist der interne Konflikt unlösbar, auch wenn eine Mehrheit der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen eine Einheit sehen will. Auf konkrete Schritte von beiden Seiten warten die Palästinenser allerdings vergeblich. So auch die jungen Leute im Café. Samah, eine junge Frau mit buntem Kopftuch, kann die vielen Parolen der Politiker, gleich welcher Couleur, kaum mehr hören. "Es sollte endlich Wahlen geben. Aber daran hat weder die Hamas noch die Fatah ein Interesse. Ich glaube nicht, dass wir die so bald sehen werden." Und eine andere Café-Besucherin fügt hinzu: "Hauptsache, es bleibt jetzt erst mal ruhig. Wer weiß, was morgen wieder passiert." Mit dieser Angst, dass es in naher Zukunft wieder eine neue Welle der Gewalt und Zerstörung geben könnte müssen die Menschen im Gazastreifen immer leben.