Hambüchen: "Absolutes Gänsehaut-Feeling"
18. Dezember 2016DW: Vier Monate ist es jetzt her, seit Sie mit einem perfekten Wettkampf Gold am Reck geholt haben. Hatten Sie schon Zeit, das ganze Revue passieren zu lassen und zu verarbeiten?
Fabian Hambüchen: Ehrlich gesagt noch nicht. Es gab so viele Termine, dass ich einfach noch keine Ruhe gefunden habe. Deswegen freue ich mich jetzt unheimlich auf Weihnachten, vielleicht schaffe ich es dann, das alles zu realisieren, denn 2016 war ein total turbulentes, emotionales und intensives Jahr für mich.
Ihr Gold-Auftritt, Ihre allerletzte Reck-Übung, die Sie perfekt geturnt haben, werden Sie sich ganz sicher dutzende Mal in der Wiederholung angeschaut haben. Wenn sie sich das anschauen - was macht das mit Ihnen?
Wenn ich mir das angucke, dann bin ich direkt wieder in dieser Situation drin. Ich kann das noch immer nicht nüchtern betrachten. Wenn ich mir das Video anschaue, dann bin ich wieder in Rio, am Reck und spüre noch heute ganz genau, was ich in dem Moment gedacht und getan habe. Das ist absolutes Gänsehaut-Feeling und sehr emotional. Das gute ist, dass ich im Gegensatz zu damals jetzt schon weiß, was dabei rausgekommen ist.
Die Hersteller des Recks hatten Ihnen versprochen, das Gold-Reck kostenlos nach Hause zu verschiffen - als i-Tüpfelchen auf Ihrer Karriere sozusagen. Ist es schon bei Ihnen angekommen, oder wird es das vielleicht schönste Weihnachtsgeschenk?
Weihnachten wird es leider noch nicht da sein - ich fürchte, das dauert noch bis zum Frühjahr. Es gab in Brasilien ein paar Komplikationen, mit Zoll, Transport und solchen Dingen. Das ist da alles nicht so einfach, wie wir uns das hier vielleicht vorstellen. Aber wenn das Gold-Reck dann endlich da ist, dann wird es direkt in Wetzlar in die Turnhalle gestellt, damit die Kinder daran trainieren können. Das soll den Kleinen einfach Spaß machen und ihnen eine Inspiration sein. Das Letzte, was ich will ist, dass das Gerät in einem Museum ausgestellt wird.
Wenn Ihnen vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte: Herr Hambüchen, Sie holen Olympisches Gold und werden zum "Sportler des Jahres" 2016 gewählt - was hätten Sie demjenigen erwidert?
Ich hätte alle für verrückt erklärt. Vor einem halben oder dreiviertel Jahr, war da gar nicht dran zu denken. Ich konnte meine verletzte Schulter ja nicht mal im Alltag normal benutzen. An Turnen war überhaupt nicht zu denken. Umso schöner ist es natürlich, dass jetzt alles so perfekt geklappt hat.
Sie haben ein so aufregendes Sportlerjahr hinter sich, das reicht sonst für ein ganzes Sportlerleben. Wie werden Sie die Feiertage verbringen? Ganz entspannt mit Familie oder lassen Sie es nochmal krachen und feiern dieses sensationelle Jahr?
Heilig Abend bin ich erst mal bei meinen Eltern in Wetzlar, und weil ich noch überhaupt keinen Urlaub hatte, haue ich am ersten Weihnachtstag mit meiner Freundin ab in den Urlaub und genieße zwei Wochen lang die Ruhe.
Verraten Sie, wo es hin geht?
In die Karibik, wo es schön warm ist.
Für viele Sportler spielen Vorbilder eine wichtige Rolle für ihre eigene Karriere. Sie haben ja auch direkt nach ihrem Olympia-Gold gesagt, wie wichtig Ihr Vater für Sie persönlich ist. Gibt es auch einen Sportler, zum dem sie immer aufgeblickt haben oder zu dem sie immer noch aufblicken?
In meiner Kindheit und Jugend waren es natürlich immer die besten Turner, an denen ich mich orientiert habe. Aber mein absolutes Idol generell im Sport ist immer Muhammad Ali gewesen, der ja jetzt leider verstorben ist. Ali habe ich immer bewundert - für seine Art, wie er sich engagiert hat und wie er für das stand, was er verkörpert hat.
Mit Ihnen steigt der bekannteste deutsche Turner aus dem internationalen Geschäft aus. Wer könnte ihre Rolle als Publikumsliebling einnehmen? Gibt es jemanden, der in Ihre Fußstapfen treten könnte?
Das ist schwierig zu beantworten, denn es gibt im deutschen Nachwuchsbereich leider keinen, von dem man sagen könnte, der wird in ein paar Jahren richtig durchstarten. Man muss viel mehr an der Basis arbeiten und vor allem schauen, dass man bei der Veränderung der Leistungssport-Konzeption stärker den Nachwuchs fördert. Es gibt zwar im Nachwuchs ein paar Athleten, die die Möglichkeit hätten, bei internationalen Wettkämpfen Medaillen zu holen, aber es ist leider niemand dabei, der in der Lage ist, mich zu ersetzen.
Wie sieht es mit Andreas Toba und Marcel Nguyen aus?
Toba wird immer ein guter Mehrkämpfer und Mannschaftsturner sein, aber international hat er leider keine Chance, Medaillen zu gewinnen. Bei Marcel hatten wir schon in Rio gehofft, dass er eine Medaille holen könnte, aber gerade am Barren, seiner stärksten Disziplin, ist die Leistungsdichte international so hoch, dass es einfach brutal schwer ist, da eine Medaille zu holen. Am ehesten würden mir noch Lukas Dauser am Barren und Andreas Brettschneider am Reck einfallen, die in der Zukunft Chancen hätten, international etwas zu reißen.
Blicken wir auf Ihre berufliche Zukunft. Sie studieren aktuell an der Sporthochschule in Köln, was kommt danach?
Das Studium dauert noch etwa zwei bis drei Semester, und in der Zeit werde ich mir genaue Gedanken machen, was ich in Zukunft machen will. Grundsätzlich bin ich neugierig und offen für alles. Ich tendiere zwar zum Trainer-Job, kann mir aber auch Management gut vorstellen. In diesem Bereich arbeite ich auch jetzt schon ein bisschen und unterstütze Turnerinnen und Turner. Darüber hinaus kann ich mir auch vorstellen, in den Medien zu arbeiten. Wichtig ist, dass mir der Job Spaß macht. Ich habe mein Leben lang geturnt, dafür habe ich alles investiert, weil es mein Leben war. Und genau das möchte ich auch später in meinem Beruf empfinden, deswegen überstürze ich nichts.
Sie gelten nicht nur in der Sportwelt als absoluter Sympathie-Träger, und es gibt wohl niemanden, der Ihnen die Goldmedaille in Rio nicht gegönnt hat. Wie haben Sie es geschafft, so ein makelloses Image zu bekommen?
Es war mir immer wichtig, mir selbst treu zu bleiben und ehrlich und authentisch zu sein. Einfach so sein, wie man wirklich ist. Wenn ich von Anfang an ein Depp gewesen wäre, dann würde man das wissen. Ich habe ich mich nie verstellt, egal was kam und das kam wohl gut an. Ich habe so viele Anfragen bekommen, zum Beispiel von TV-Shows, die jetzt nicht gerade vor Niveau strotzen und da muss man schon aufpassen, welche man wahrnimmt und welche nicht. Ich glaube, dass wir da zusammen mit dem Management wirklich gute Arbeit geleistet und aus mir nicht irgendeine Kunstfigur gemacht haben. Jetzt genieße ich es einfach, dass die Leute mich so sehen, wie ich wirklich bin.
Fabian Hambüchen hat in Rio de Janeiro seine dritte Olympische Medaille gewonnen. Nach Bronze und Silber wurde es diesmal endlich Gold. Für den 29-Jährigen war es der krönende Abschluss einer glanzvollen Karriere, in der er 27 internationale Medaillen geholt hat.
Das Interview führte Jan-Hendrik Raffler.