Hanaus Kampf gegen Rassismus
16. März 2020Özkan Rutbil hat alles mit angesehen. Wie jeden Abend stand er am 19. Februar hinter seiner Ladentheke. Getränke und Zigaretten im Rücken, vor sich eine kleine Kreuzung und eine Shisha-Bar. Dann kam der Täter. Mit einer Pistole bewaffnet läuft er auf der gegenüberliegenden Straßenseite herum, öffnet die Tür der Shisha-Bar und schießt wahllos hinein. Sedat G., der Mitinhaber, wird dabei tödlich getroffen.
Seitdem hat Rutbil Angst. Angst, wenn jemand nach 21 Uhr in seinen Laden kommt. Er fragt sich, ob er lieber abschließen sollte. Oder sich gar selbst bewaffnen? Denn auch er ist ein Ladeninhaber mit Migrationsgeschichte. Auch er hätte Opfer sein können.
Seit dem rechtsextremen Attentat sind in Hanau viele Menschen verunsichert. Immer wieder taucht der Gedanke an den NSU, den Nationalsozialistischen Untergrund auf, der jahrelang, von den Behörden unerkannt, Menschen mit Migrationsgeschichte ermordet hatte.
"Die Gesellschaft gegen Rassismus erwecken"
Die Leute in Hanau fordern, auch deswegen, eine lückenlose Aufklärung der Tat. Zuletzt hatte sich die Mutter von Ferhat Unvar, einem der jungen Männer, der bei dem Attentat sein Leben verlor, in einem öffentlichen Brief an Angela Merkel gewandt:
"Diese grausame Tat muss Sie als Bundeskanzlerin dazu bringen, endlich zu reagieren und die Gesellschaft gegen Rassismus zu erwecken. Das gilt auch für die Blindheit der Verfolgungsbehörden. Es war nicht das erste Mal und ich fürchte, es wird nicht das letzte Mal sein, wenn sich nicht schnell etwas ändert", schrieb sie.
Bisher kam von Angela Merkel keine Reaktion.
"Die Angst, dass etwas unter den Teppich gekehrt wird, ist da. Man muss die Leute ernst nehmen", erzählt Newroz Duman, die sich in Hanau schon lange gegen Rassismus und Ausgrenzung einsetzt. Sie war es, die nach dem rassistischen Attentat als eine der ersten öffentlich die Namen der Ermordeten vorlas.
Damit die Tat nicht in Vergessenheit gerät, haben Newroz und andere AktivistInnen jetzt die "Initiative 19. Februar" gegründet.
Die Initiative soll ein Ort der Erinnerung und der Begegnung werden, soll das bündeln, was jetzt in der Stadt gebraucht wird. "Wir wollen hier politische Arbeit machen, aber auch den Angehörigen der Opfer sowie allen anderen Betroffenen Unterstützung und Beratung geben", erklärt Newroz.
Rassismus in Deutschland
Seit dem Attentat beobachtet sie, wie präsent das Thema Rassismus plötzlich ist. "Ich bekomme mit, wie Jugendliche gerade viel darüber reden. Ob Ausgrenzung in der Schule oder Kommentare durch Lehrkräfte – das ist oft Rassismus, der von der Mehrheitsgesellschaft nicht ernst genommen wird", sagt Newroz. Genauso wie Benachteiligungen bei der Job- oder Wohnungssuche.
Was es jetzt brauche, so Newroz, sei eine deutliche Ansage, dass Rassismus auf allen Ebenen bekämpft wird. "Wir werden jetzt Druck ausüben müssen, was die politischen Konsequenzen angeht, denn ich glaube, ohne Druck wird nichts passieren. Aber eben nicht nur in Bezug auf bestimmte Nazi-Gruppierungen oder die AfD, sondern viel breiter. In dieser Gesellschaft gibt es einen Nährboden für Rassismus und Hetze, und der muss bekämpft werden."
Dass Rassismus von vielen nicht ernst genommen wird, erlebt auch Marlies Horch. Sie organisiert die Internationalen Wochen gegen Rassismus, die in diesem Jahr zum 25. Mal stattfinden, unter anderem in Hanau. "Es rufen uns immer wieder Leute an, die fragen, warum es diese Wochen überhaupt gäbe. Es gäbe in Deutschland doch gar keinen Rassismus", erzählt Horch.
Sie fordert jeden dazu auf, sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden und Menschen, die Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung gemacht haben, zuzuhören, sie ernst zu nehmen. Veranstaltungen wie die Internationalen Wochen gegen Rassismus seien wichtige Foren, sich miteinander auszutauschen und gleichzeitig Vorurteile und Ängste abzubauen. Damit Taten wie das Attentat in Hanau in Zukunft nicht mehr passieren.