Handlungsbedarf beim Thema Integration
19. Oktober 2010Die Bundesregierung habe erkannt, dass es mit der Integration bei Teilen der Ausländer hapere oder die Integration auch ganz offen verweigert werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Deshalb wolle die Regierung handeln. Einen entsprechenden Gesetzentwurf werde das Kabinett bereits in der kommenden Woche beschließen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beziffert die Zahl der Menschen, die trotz der bestehenden Verpflichtung nicht oder nur teilweise an Integrationskursen teilnehmen, auf zehn bis 20 Prozent. So liege die Zahl derer, die ihren Kurs nicht zu Ende führten, bei etwa zehn Prozent, sagte Behördensprecherin Rochsana Soraya der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" vom Dienstag (19.10.2010). "Rund 20 Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten haben den Integrationskurs nicht begonnen." Allerdings ließe sich die Zahl der Kursabbrecher nicht abschließend beziffern. Dies liege unter anderem daran, dass die Kurse aus unterschiedlichen Modulen bestünden. "Zurzeit nehmen 140.000 Menschen an zirka 16.000 Kursen teil", fügte Soraya hinzu.
Neuer Streitpunkt für die Koalition?
Der Vorsitzende des Innenausschusses des deutschen Bundestages, der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach, will diesen Unklarheiten durch eine verbesserte Informationspflicht abhelfen. Es gebe bisher keine Pflicht zum Informationsaustausch zwischen Kursträger, Sozial- und Ausländerbehörden, sagte er der gleichen Zeitung. "Deshalb wollen wir jetzt eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen, sodass klar wird, ob die Pflicht, die den Zuwanderern auferlegt wurde, auch erfüllt worden ist. Eine Verpflichtung, die wir nicht durchsetzen, macht wenig Sinn".
Zuvor hatte bereits der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU) ein härteres Durchgreifen gegen Integrationsverweigerer angekündigt. So müsse es eine Meldepflicht für Kursabbrecher geben.
Reichen die Sanktionsmöglichkeiten?
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lehnte in der "Passauer Neuen Presse" dagegen schärfere Maßnahmen gegen integrationsunwillige Migranten ab. "Es gibt wirksame Sanktionsmöglichkeiten von Kürzungen der Sozialleistungen bis hin zur Beendigung des Aufenthaltsstatus. Diese Instrumente müssen nur angewandt werden", sagte die Ministerin. "Wir brauchen keine neuen Sanktionen."
Integrationskurse sollen den Teilnehmern ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, des Alltagswissen sowie Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands vermitteln. Sie sind seit 2005 verpflichtend.
Anwerben statt abschrecken
Als erstes Signal an integrationswillige Migranten hatte Bildungsministerin Annette Schavan die raschere Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen angekündigt. "Es ist auch ein Zeichen des Respekts", sagte Schavan am Dienstag (19.10.010) im ZDF-"Morgenmagazin". Die Neuregelung könne 2011 in Kraft treten. Derzeit müssen Einwanderer oft jahrelang auf eine solche Anerkennung warten und ihren Lebensunterhalt oft durch Billigjobs bestreiten. Schavan will die Frist auf drei Monate verkürzen. Davon verspricht sich die Ministerin unter anderem 300.000 neue Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft.
Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt in der Frage der Notwendigkeit der Anwerbung ausländischer Fachkräfte nicht locker und stellt sich damit erneut gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Fachkräfte seien auch dann willkommen, wenn sie einen arabischen oder muslimischen Hintergrund hätten. "Sie können aus allen Ländern kommen, wenn sie die Sprache beherrschen, wenn sie bereit sind das Land voranzubringen", sagte sie im Zweiten Deutschen Fernsehen. Sie müssten allerdings die Berufe und den Bildungsstand haben, der in Deutschland gebraucht werde. Seehofer hatte dagegen einen faktischen Zuwanderungsstopp für Menschen aus fremden Kulturen verlangt.
Fakten schaffen
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es in Koalition auch in einer anderen Frage. So schlägt Wirtschaftminister Reiner Brüderle in der Frage der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte ein Punktesystem nach kanadischem Muster vor. Schon heute fehlten der deutschen Wirtschaft 36.000 Ingenieure und rund 65.000 IT-Fachleute. Allein im Krisenjahr 2009 habe dies zu Wohlstandsverlusten von etwa 15 Milliarden Euro geführt. Dem widersprach CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Deutschland sei kein Zuwanderungsland und brauche folglich kein Punktesystem, sagte er der "Rheinischen Post". Es sei abenteuerlich, dass angesichts von drei Millionen Arbeitslosen über zusätzliche Zuwanderung nachgedacht werde.
Unterstützung erhielten Brüderle und von der Leyen aus der deutschen Wirtschaft. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans-Heinrich Driftmann, sagte der Zeitung "Die Welt", deutsche Unternehmen wollten zwar ihren Arbeitskräftebedarf vornehmlich aus dem heimischen Potential decken. Um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen, werde dies aber nicht ausreichen. "Die Devise muss daher lauten: Das eine tun, da andere nicht lassen.
Die Bundesregierung will deshalb in den Fragen der Zuwanderung und einer besseren Integration rasch Fakten schaffen. Die Spitzen der schwarz-gelben Koalition würden Mitte November über ein Gesamtkonzept zur Zuwanderung ausländischer Fachkräfte beraten, kündigte Regierungssprecher Seibert an. Details nannte er nicht. Bei dem Treffen im Koalitionsausschuss am 18. November sollen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Wirtschaftsminister Reiner Brüderle (FDP), Bildungsministerin Annette Schavan und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) Konzepte zum Abbau des Fachkräftemangels vorlegen.
Autor: Gerhard M Friese ( dpa, afp, dapd )
Redaktion: Marion Linnenbrink