Handyauswertung womöglich verfassungswidrig
1. April 2017Daten aus den Mobiltelefonen von Flüchtlingen würden die Arbeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erleichtern. Dieser Ansicht ist die Chefin des BAMF, Jutta Cordt. "Das Auslesen von Handy-Daten würde uns bei Antragstellern ohne Pass helfen, Identität und Herkunft festzustellen", erklärte sie in einem Interview mit der Zeitung "Rheinische Post". "Mit diesen Daten wäre es auch leichter, zu beurteilen, ob die Antragsteller tatsächlich einen Asylgrund haben. Das würde unsere Arbeit unterstützen."
Mit ihrer Einschätzung ist Cordt nicht nur auf Gegenliebe gestoßen. Die Oppositionsparteien im Bundestag haben sich ebenso wie Flüchtlingsanwälte gegen dieses Ansinnen ausgesprochen. Auch Andrea Vosshoff, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, äußerte Bedenken. Der Gesetzentwurf, wandte sie ein, könnte einer juristischen Prüfung nicht standhalten. Sie bezweifle, dass dieser massive Eingriff in Grundrechte verfassungsgemäß sei, erklärte sie in einem ungewöhnlich scharf formulierten, an den Innenausschuss des deutschen Bundestags gerichteten Positionspapier.
Technische Bedenken
Doch nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Ansinnen Cordts entgegen. Ebenso bestehen Zweifel an der Verlässlichkeit der so gewonnenen Informationen.
So hofft das BAMF, aus den Mobilfunkdaten zuverlässige Informationen über die Herkunft und die Reiseroute der Asylsuchenden zu gewinnen. Auch über ihre Aktivitäten in den sozialen Medien könnte das BAMF dank der gewonnenen Daten Aufschluss erhalten. Das aber setzt voraus, dass Flüchtlinge die Sperrfunktionen auf ihren mobilen Geräten nicht aktiviert haben. Auch müsste ihr Wille zur Kooperation mit den deutschen Behörden gegeben sein.
"Ohne ein Passwort haben auch Behörden nur relativ geringe technologische Möglichkeiten, Zugang zu den Daten zu erhalten", sagte Fabian Scherschel, Redakteur beim deutschen Computermagazin c't, gegenüber der Deutschen Welle.
Die forensische Extraktion von Handydaten, wie die Polizei sie in ihrer Ermittlungsarbeit praktiziert, ist ein komplexer und langwieriger Prozess. "Das ist eine Aufgabe, die viel Zeit erfordert", sagte Oktay Öz von der Berliner Datenrettungsfirma Stellar Datenrettung, im Gespräch mit der DW. Eine solche Arbeit könnte "Monate" dauern.
So stehen schon rein technische Aspekte der Hoffnung entgegen, durch die Überprüfung mobiler Gerätedaten die Bearbeitung von Asylanträgen zu beschleunigen. Doch das neue Gesetz hat einen weiteren entscheidende Schwachpunkt.
Zweifel an Verlässlichkeit der Daten
Zwar ließe sich anhand der in den Mobilfunkgeräten gefundenen Daten nachvollziehen, dass der Besitzer des Geräts dieses etwa aus Syrien in die Türkei transportierte. Das Problem ist allerdings, dass die entsprechenden Daten nicht verlässlich sind. Sie könnten auch gefälscht worden sein.
Entsprechende technische Fähigkeiten vorausgesetzt, ließen sich die Daten manipulieren, um die Chancen eines Asylantrags zu erhöhen. Denkbar sei etwa, die Daten so zu manipulieren, dass der Besitzer des Mobilgeräts als ein Syrer erscheine – obwohl er tatsächlich aus einem ganz anderen Land komme. Um tatsächlich verlässlich zu sein, müssten diese Daten um zusätzliche Informationen ergänzt werden, so Öz. Dazu zähle etwa die Sprache des Asylbewerbers. "In den arabisch-sprachigen Ländern zum Beispiel existieren ganz unterschiedliche Dialekte und Schreibweisen", so Öz.
Die Wiederherstellung gelöschter Daten sei zwar grundsätzlich möglich, so Öz weiter. Denkbar sei aber auch, dass ein Asylbewerber ein Handy mit entsprechenden Daten gekauft habe, um seine Chancen zu erhöhen.
Pro Asyl: Regierung will Diskussion einschränken
Theoretisch sei es sogar möglich, dass Terrororganisationen speziell manipulierte Geräte einsetzten, um ihre Leute auf diese Weise nach Deutschland einzuschleusen.
"Ich persönlich habe den Eindruck, dass es schwierig sein dürfte, ein solches Gesetz durch zu bringen", so Öz.
Hilfsorganisationen von Flüchtlingen teilen diese Bedenken. "Ich glaube nicht, dass wir durch das Sammeln von Mobilfunk-Daten Informationen gewinnen, die die wahre Identität einer Person erhellen", sagt Bernd Mesovic, Leiter der Rechtsabteilung der deutschen Nichtregierungsorganisation Pro Asyl, gegenüber der DW.
Pro Asyl sei von der Regierung zwar um eine Stellungnahme zu dem neuen Gesetz gebeten worden, so Mesovic. Doch habe seine Organisation nur einen Tag Zeit gehabt, ihre Position auszuformulieren. Die Regierung versuche die öffentliche Diskussion über die Gesetzgebung einzuschränken, vermutet Mesovic.
Auch er vermute, dass die in dem Gesetz umrissene Form der Datenerhebung verfassungswidrig sei. "Hier geht es um jene Art umfassender Überwachung, die das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2004 ausgeschlossen hat", so Mesovic.