Wiederentdeckung
15. Juli 2011Ein See schillert in der Sonne, direkt am Ufer liegt ein kleiner Bauernhof. Diese Abgeschiedenheit lockte den Schriftsteller Hans Fallada ins mecklenburgische Carwitz. 1933 verließ er Berlin und zog gut 100 Kilometer weiter nördlich auf das Anwesen am Rande des Dorfes. "Fallada war 1933 in der Lage, nach dem Welterfolg von 'Kleiner Mann, was nun', sich seinen lang gehegten Traum von einer eigenen Landwirtschaft zu erfüllen, denn er war ja gelernter Landwirt", sagt Stefan Knüppel. Er leitet das Fallada-Museum, das seit 1995 im ehemaligen Wohnhaus untergebracht ist.
Dort im Erdgeschoss befindet sich auch der schwere, dunkle Schreibtisch, an dem Fallada die meisten seiner Romane schrieb. Die elf Jahre, die der Autor in Carwitz verbrachte, gehörten zu den ausgeglichensten in seinem Leben. Nur weitab der Großstädte hatte er seine Drogen- und Alkoholsüchte einigermaßen im Griff, wie Knüppel schildert: "Mir ist nicht bekannt, dass Fallada hier in Carwitz – vielleicht abzüglich der letzten Monate – Morphium konsumiert hätte. Aber natürlich waren die anderen Süchte auch hier präsent."
Romanleser kommen nach Carwitz
Gerade in dieser Saison finden viele Besucher den Weg in das Museum weitab in der Provinz, denn Fallada erlebt eine Renaissance. Fast 65 Jahre nach seinem Tod ist sein letzter Roman "Jeder stirbt für sich allein" über den Widerstand kleiner Leute gegen die Hitler-Diktatur erneut in Deutschland erschienen und prompt zum Verkaufshit geworden. In dem Buch geht es um die Wandlung eines Berliner Arbeiterpaares von Nazi-Mitläufern zu Regime-Gegnern.
Eigentlich hatten ausländische Verlage die Geschichte wiederentdeckt – zuerst 2002 in Frankreich, dann 2009 in den Vereinigten Staaten, wie die Leiterin des Fallada-Archivs, Erika Becker, berichtet. "Die Ausgabe in den USA hat dann auch den Anstoß gegeben für weitere Ausgaben, die alle noch 2009 erschienen sind – in Italien, in Großbritannien, in den Niederlanden und 2010 dann auch eine hebräische Ausgabe in Israel."
Verfilmung mit Hildegard Knef
Die erste Auflage war dagegen 1947 fast nur in Deutschland erschienen. Hier wurde der Roman auch mehrmals verfilmt, unter anderem 1975 mit Hildegard Knef. Fallada erzählt, wie die Eheleute Quangel trotz ständiger Angst vor Verrat aus der Nachbarschaft kleine Widerstandsaktionen starten. Sie verteilen jede Woche etwa drei Postkarten mit Parolen gegen die Nazis in Berliner Treppenhäusern, bis sie von der Geheimpolizei verhaftet werden.
Ironie der Geschichte, dass dieser Roman nun zu Falladas erfolgreichsten zählt, denn der Autor war eigentlich ein unpolitischer Mensch. "Also Fallada hat sich nicht für politische Prozesse oder gesellschaftliche Entwicklungen interessiert, sondern ihm ging es vielmehr darum, wie sich der Einzelne in den gegebenen Verhältnissen durchschlagen konnte", schätzt Archivleiterin Becker ein. So versuchte auch er nach der Machtergreifung der Nazis als Schriftsteller in Deutschland durchzukommen, während viele seiner Kollegen ins Ausland gingen.
Zugeständnisse an NS-Kritik
Dafür war Fallada mitunter zu Zugeständnissen an die nationalsozialistische Literaturkritik bereit. Ohnehin widmete er sich in dieser Zeit vorwiegend der Unterhaltungs- und Kinderliteratur. Deren Erstausgaben sind heute im Museum ebenso zu sehen wie Briefe, Manuskripte oder die Vorüberlegungen zu "Jeder stirbt für sich allein".
1944 verließ Fallada Familie und Hof für eine junge Geliebte, stürzte vollends in die Drogensucht und zog nach einer Therapie 1945 zurück nach Berlin, wo er 1947 starb. Erst Anfang der achtziger Jahre wurde sein Grab nach Carwitz umgebettet – eine späte Rückkehr an den Ort seiner besten Jahre.
Autor: Sven Kästner
Redaktion: Gabriela Schaaf
Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein. Aufbau-Verlag Berlin 2011. 704 Seiten. 19,95 Euro.