Wehrdienst als Ausbildungscamp?
9. März 2015Der Militärische Abschirmdienst (MAD) darf Bewerber erst nach Eintritt in die Bundeswehr nachrichtendienstlich und präventiv überprüfen. Warum?
Stefan Hansen: Die Verfassungsschutzaufgabe obliegt grundsätzlich den Landesinnenministerien. Der Bund hat erst dann die Möglichkeit, die Verfassungstreue eines Bewerbers zu überprüfen, wenn sie oder er bereits Soldat der Bundeswehr ist. Eine Verzahnung von MAD und Verfassungsschutz ist daher sehr wichtig, kann aber derzeit nur in einem sehr engen gesetzlichen Rahmen stattfinden, da in Deutschland der Föderalismus und die Ressortkompetenz stark ausgeprägt sind.
Welche Auswirkungen haben diese fehlenden Sicherheitsüberprüfungen?
Aktive Soldaten sind bisher nicht unerlaubt in den Irak oder nach Syrien gegangen. Da funktioniert die Sicherheitsüberprüfung durchaus gut. Sorgen bereiten einerseits die Soldaten, die die Bundeswehr irgendwann mit einer guten Ausbildung verlassen und sich dann radikalisieren. Vor allem aber ist der MAD über Islamisten besorgt, die den Weg in die Bundeswehr wählen, um dort gezielt eine Ausbildung zu erhalten und dann in Krisengebiete zu gehen. Das Problem ist eben, dass der Militärische Abschirmdienst erst dann einen Soldaten überprüfen kann, wenn derjenige Angehöriger der Bundeswehr ist. Eine Überprüfung kann sicher einige Monate dauern. In der Zwischenzeit durchläuft dieser Soldat seine Grundausbildung. Die Sicherheitsüberprüfung wird zudem nicht pauschal bei jedem Soldaten durchgeführt. Anwärter gewisser Spezialausbildungen – wie möglicherweise die Scharfschützenausbildung oder auch eine Ausbildung zum Feuerwerker – sollten aber vor Beginn der Ausbildung überprüft werden. Dies mindert also die Gefahr. Aber auch die allgemeine Ausbildung kann schon ausreichen, um sich bei terroristischen Organisationen wie dem sogenannten islamischen Staates (IS) mit Fähigkeiten und Kenntnissen hervorzutun, die andere nicht haben.
Was genau macht ausgebildete Soldaten für den IS so wertvoll?
Der grundsätzliche Ausbildungsgrad der Terroristen ist nicht übermäßig hoch. Spezialkenntnisse, etwa zum Bau von Sprengkörpern, wären sicher sehr wertvoll für den IS. Zweifellos würde ein solcher Soldat seine Fähigkeiten vor Ort an andere Kämpfer weitergeben, so dass sich dieses Wissen verbreiten könnte. Das wäre dann schon dramatisch in seiner Folge. Es sind bislang allerdings kaum Soldaten vor Ort, die aus westlicher Sicht eine hochwertige Ausbildung durchlaufen haben. Es ist aber wichtig, das Thema rechtzeitig aufzugreifen. Der Schutz der Privatsphäre und der individuellen Rechte ist in Deutschland mit gutem Grund sehr hoch geschätzt. Anti-Terror-Gesetze sind daher stets mit sehr hohen Hürden und Befristungen beschlossen worden. Es waren sehr vorsichtige Beschlüsse und keine grundlegenden Kompetenzveränderungen, die wir in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Nationen nach dem 11. September beschlossen haben. Aber auch die deutsche Gesellschaft gilt es effektiv zu schützen. Dazu müssen gegebenenfalls anachronistische Kompetenzverteilungen in der deutschen Sicherheitsarchitektur überdacht werden.
Deutsche Welle: Welchen Eindruck hinterlässt es, wenn alle Bewerber unter einen Generalverdacht gestellt und überprüft werden?
Ich würde nicht von einem Generalverdacht sprechen. Die Bundeswehr ist nach wie vor ein Spiegel der Gesellschaft. Es ist ein Nebeneffekt der demografischen Veränderung unserer Gesellschaft, dass der Anteil an Muslimen wie auch anderer Glaubensrichtungen und Kulturen in der Bundeswehr größer geworden ist. Islamistische Terroristen gibt es in Deutschland und die kann es somit auch in der Bundeswehr geben.
Warum wurde diese sicherheitsrelevante Überprüfung bei der Bundeswehr vernachlässigt?
Die Bundeswehr bildet, wie jede Armee, Soldaten an der Waffe aus. Und wer im Dienst an der Waffe ausgebildet werden soll, den verwundert es sicherlich kaum, dass er im Vorfeld überprüft werden wird, ob seine politische Ausrichtung freiheitlich-demokratisch ist. In Deutschland werden immer Sicherheit und Freiheit gegeneinander abgewogen und die Freiheit wird in aller Regel deutlich in den Vordergrund gestellt. Ein Soldat wird aber an Waffensystemen ausgebildet und da muss die Sicherheit ein größeres Gewicht erhalten. Also sollte in die Persönlichkeitsrechte eines angehenden Soldaten auch frühzeitig von Seiten des MAD eingegriffen werden dürfen, um sicherzustellen, dass er die bei der Bundeswehr erworbenen Fähigkeiten später nicht missbräuchlich einsetzt.
Stefan Hansen ist Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Neben seinen Schwerpunkten der Außen-, Innen- und Verteidigungspolitik Deutschlands und der Transformation der deutschen Sicherheitsarchitektur arbeitet er auch auf dem Gebiet der Terrorismusforschung.
Das Interview führte Sabrina Pabst