Harsche Kritik an Schwarz-Rot
13. November 2013Eigentlich ist es nicht mehr als ein symbolischer Akt, wenn der jeweilige Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dem jeweiligen Bundeskanzler das aktuelle Jahresgutachten übergibt. Die Kameras laufen, Fotos werden gemacht und es gibt kurze Stellungnahmen. Seit 50 Jahren läuft das so ab, doch angesichts der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD geht der Termin im Kanzleramt diesmal über das Symbolische hinaus.
"Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik" so lautet der Titel des 50. Jahresgutachtens und wer und was damit gemeint ist, teilt der Vorsitzende des Rats, Christoph Schmidt, der Bundeskanzlerin bei der Übergabe gleich mit. "Die konjunkturelle Lage ist gut, aber wir sind dennoch besorgt, ob die Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden und ob sie richtig gestellt sind, insbesondere, da Herausforderungen wie der demografische Wandel mit Sicherheit auf uns zukommen werden."
Kein soziales Ungleichgewicht in Deutschland
Viele hätten den Blick darauf verloren, dass die gute wirtschaftliche Situation nicht vom Himmel gefallen sei, ergänzt Schmidt später vor Journalisten. Dass Deutschland so gut dastehe, sei vielmehr als Ergebnis vieler sinnvoller Reformen der Vergangenheit zu betrachten. "Wir haben eine starke Diskussion über die vermeintlich sehr stark gestiegene Ungleichheit in Deutschland gesehen, die sich so in den Daten nicht wiederfindet." Deswegen sei es aus der Sicht des Sachverständigenrats "besorgniserregend", dass sich die Diskussion vor allem auf Umverteilungsaspekte konzentriere. "Sie geht dabei sogar soweit, dass man Willens ist und diskutiert, sehr stark auch in Marktergebnisse einzugreifen und ein gewünschtes Marktergebnis gegebenenfalls auch gesetzlich erzwingen zu wollen", so Schmidt.
Viele der derzeit diskutierten Wohltaten, wie die Mütterrente, die Aufstockung von niedrigen Renten oder großzügige Ausnahmen von der Rente mit 67 gingen überwiegend zu Lasten der kommenden Generationen, kritisieren die fünf sogenannten Wirtschaftsweisen. Mindestlöhne und die Einschränkung von Zeitarbeit und Befristungsmöglichkeiten würden den Arbeitsmarkt schwächen und neue Sperren einziehen.
Der Kanzlerin sind die Hände gebunden
Doch wenngleich viele dieser Themen auch in den Unionsparteien umstritten sind, so sind sie für die SPD Grundvoraussetzung für eine Regierungsbildung mit CDU und CSU. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auch CDU-Vorsitzende ist, bleibt bei der Übergabe des Gutachtens daher nicht viel mehr, als der Hinweis, dass es in den vergangenen 50 Jahren ja schon häufiger vorgekommen sei, dass die Vorstellungen des Sachverständigenrats von der Bundesregierung nicht 1:1 umgesetzt worden seien.
Merkel hat aber sicherlich auch im Kopf, dass die Diskussion und Debatten in den Koalitionsverhandlungen noch nicht beendet sind. "Insofern kommt dieses Gutachten zu einem richtigen Zeitpunkt, denn wir können es als Grundlage auch für die Frage nehmen: Wie können wir weiterhin gute Arbeitsmarktpolitik machen, wie können wir weiter Arbeitsplätze schaffen, wie können wir das Wachstum stärken?"
Lob für Agenda 2010
Während die Sachverständigen für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von lediglich 0,4 Prozent feststellen, sollen es dank einer gut laufenden Binnenkonjunktur im kommenden Jahr 1,6 Prozent sein. Die Zahl der Erwerbstätigen soll 2014 auf den Rekordwert von mehr als 42 Millionen steigen. Insgesamt sei ein "langangelegter Konjunkturaufschwung" in Sicht, sagt der Ratsvorsitzende Christoph Schmidt. Auch in der Euro-Zone gehe die Rezession zu Ende, die Krise sei allerdings noch nicht völlig bewältigt. "Vor diesem Hintergrund warnen wir davor, die Reformen, die uns erfolgreich gemacht und durch die Krise geführt haben, zu verwässern oder in Teilbereichen gänzlich zurückzunehmen", so Schmidt.
Was das mit Blick auf die Reformpolitik in anderen europäischen Ländern heißt, dafür finden die Sachverständigen klare Worte: Die Bundesregierung sollte nicht den Eindruck erwecken, von anderen Ländern schmerzhafte Anpassungsprozesse zu erwarten oder gar zu fordern, aber vor unpopulären Maßnahmen im Inland zurückzuschrecken.