Harte Schale, heißer Kern
11. März 2010Deutsche Welle: Das laienhafte Bild vom Inneren der Erde ist, es gibt eine starre Schale und einen heißen Kern, aber wie ist die Erde denn wirklich aufgebaut?
Prof. Rainer Kind: Im Prinzip ist das richtig. Wenn wir nach unten ins Erdinnere reingehen könnten, würden wir feststellen, dass es immer heißer wird. In 5.000 Kilometer Tiefe haben wir eine Temperatur von ungefähr 5.000 Grad Celsius und an der Erdoberfläche im Mittel vielleicht um null Grad herum. Diese Temperaturunterschiede verursachen Dichteunterschiede im Gestein. Das Gestein ist zähflüssig und in der Lage, sich zu bewegen. Heißes Gestein steigt nach oben, kaltes nach unten. Das geschieht natürlich sehr langsam, mit einer Geschwindigkeit von einigen Zentimetern pro Jahr. Und diese Dynamik des Erdkörpers ist dafür verantwortlich, dass sich auch die Oberflächenplatten, die Kontinentalplatten ständig bewegen. Dass wir also nicht auf einer festen, starren Erde leben, sondern auf einer sehr aktiven, mobilen Erde. Das wissen wir erst seit etwa 50 Jahren.
Es gibt den Erdkern, den Erdmantel und die Erdkruste. Woraus bestehen die einzelnen Schichten?
Es gibt einen flüssigen Erdkern, der aus Eisen und einigen anderen Zumischungen besteht. Dort spielen sich recht schnelle Bewegungen von einigen Kilometern pro Jahr ab. Diese Bewegungen im Erdkern sind für das Magnetfeld der Erde verantwortlich. Um den Erdkern herum befindet sich eine Gesteinsschicht, eine Silikatschicht, die ebenfalls in der Lage ist, sich zu bewegen und damit einen Temperaturausgleich durchzuführen.
Im Grunde ist die Erde so etwas wie eine Wärme-Kraft-Maschine, die ständig aktiv ist. Obendrauf schwimmen mehr oder weniger starre Platten, da gibt es ozeanische und kontinentale. Die kontinentalen Platten sind schon Milliarden von Jahren alt. Sie sind seit dieser Zeit fest, relativ starr und werden vom sich bewegenden Erdmantel verschoben. Man kann sich das vorstellen, wie Eisschollen auf einem Fluss. Die stoßen zusammen, türmen sich übereinander. So entstehen unsere Gebirge und eben auch die Erdbeben, wenn die Platten aneinanderstoßen.
Wie groß und dick sind die Platten?
Die Dicke der Platten ist sehr unterschiedlich. Die ozeanischen Platten können sehr dünn sein, 10, 20 Kilometer oder bis zu 100 Kilometer, während die kontinentalen Platten, die viel älter sind und im wesentlichen aus Granit bestehen, bis zu 300 Kilometer mächtig werden können.
Es ist erstaunlich, dass sich diese relativ dicken Platten im Laufe der Jahrmillionen über horizontale Entfernungen von tausenden Kilometern bewegen konnten. Zum Beispiel haben sich ja Südamerika und Afrika getrennt, die ursprünglich zusammen hingen.
Aber wir sprechen da nicht nur von ein paar tausend Quadratkilometern sondern von riesengroßen Dimensionen?
Das sind Kontinente! Südamerika ist eine Platte, Afrika ist mit darum herumliegenden ozeanischen Anteilen eine Platte, Australien. Eurasien ist auch eine einzige große Platte, also vom Atlantik bis nach Wladiwostok. Dazu gibt es noch die ozeanischen Platten. Der wesentliche Teil des pazifischen Ozeans wird durch die pazifische Platte eingenommen, die sich im Westen unter Asien schiebt und dabei die Erdbeben und Vulkanausbrüche in Japan verursacht.
Sie sagen, die Platten können bis zu 300 Kilometer dick sein, die tiefste Bohrung, die je gemacht wurde, ging aber nur rund 12 Kilometer tief. Wie kommen Sie an Erkenntnisse über noch tiefer liegenden Erdschichten?
Die Erkenntnis über die Strukturen dieser Schichten bekommt man aus seismischen Wellen. Erdbeben sind für jedermann ein Schreckenswort, mit dem wir Zerstörung und Tod verbinden, aber die seismischen Wellen, die sich durch die Erde ausbreiten, bringen auch einen gewissen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft.
Man kann die Erdbebenwellen nutzen, um in das Innere der Erde hineinzuschauen. Denn ein Erdbeben ist so etwas wie ein Blitz, der für einen Moment das Innere der Erde erleuchtet. Indem wir die seismischen Wellen oder Seismogramme registrieren und am Computer auswerten, können wir uns ein Bild über die Strukturen des Erdinneren machen.
Die Platten verschieben sich um ein paar Zentimeter pro Jahr. Wie werden diese Bewegungen gemessen?
Das ist neuerdings ganz einfach: durch GPS. Jeder kennt GPS vom Auto, aber es gibt eine genauere Version, die man für wissenschaftliche Zwecke einsetzt. Damit können wir ganz genau feststellen, welche Platte sich mit welcher Geschwindigkeit in welche Richtung bewegt.
Die Platten sind also kontinuierlich in Bewegung. Wie entsteht dann ein Erdbeben?
Die meisten Erdbeben entstehen an den Plattenrändern, also dort, wo sich die relativ starren Platten aneinander reiben. Im Falle von Chile, wo es zuletzt das schwere Erdbeben gab, verschiebt sich ein Teil einer ozeanischen Platte unter den Kontinent. Diese Bewegung läuft dort etwa mit einer Geschwindigkeit von zehn Zentimetern pro Jahr ab und ist über Millionen von Jahren relativ stetig. Da wo sich die beiden Platten aneinander reiben ist die Bewegung nicht stetig, sondern die Platten verhaken sich an den Berührungsflächen, es bauen sich Spannungen auf, die immer größer werden, weil die Bewegung kontinuierlich weitergeht bis die Bruchfestigkeit des Gesteins überschritten ist und sich die Spannung schlagartig in Form eines Erdbebens löst.
Und wie viele Zentimeter sind das auf einmal, die sich die Platten plötzlich weiterbewegen?
Jetzt, beim Chile-Beben in der Nähe der Stadt Concepcion hat sich die ganze Region um die Stadt innerhalb von zwei Minuten ungefähr drei Meter nach Westen verschoben.
Drei Meter…? Also da reden wir nicht mehr nur von Zentimetern?
Nein, bei solch einem gewaltigen Erdbeben kann es schon zu starken Verschiebungen kommen. Die Ausdehnung der Bruchfläche war ungefähr 500 Kilometer in der Nord-Süd-Achse. Im Umfeld dieser Bruchfläche ist es nicht überall zu einer Verschiebung von drei Metern aber zu einer Verschiebung im Meterbereich gekommen.
Gibt es auch bei uns in Deutschland Erdbeben-Risikozonen?
Deutschland liegt zwar nicht am Rande einer Platte, sondern mittendrin. Trotzdem ist Deutschland nicht spannungsfrei. Von Süden schiebt sich Afrika nach Norden, mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Zentimetern pro Jahr. Die adriatische Unterplatte gehört zu Afrika und bewegt sich nach Norden, bohrt sich in den europäischen Kontinent hinein und faltet dabei die Alpen auf. Von Norden drückt der nordatlantische Ozean, der sich nach Osten ausdehnt. Also, Europa wird von Süden und von Nordwesten gewissermaßen in die Zange genommen und das führt dazu, dass es auch im Inneren der Platten zu Spannungsaufbau und zum Überschreiten der Spannungsgrenzen von Gesteinen kommen kann und damit zu Erdbeben.
Typische Erdbebengebiete in Deutschland sind die Schwäbische Alb oder die Niederrheinische Bucht. Dort hat es schon Erdbeben mit einer Stärke von 6,0 gegeben.
Das heißt auch in Deutschland muss man damit rechnen, dass es durchaus regelmäßig noch einmal zu stärkeren Bewegungen kommen kann?
Also, die stärksten in Deutschland instrumentell registrierten Erdbeben hatten eine Stärke von 8,0. Im 13. Jahrhundert hat es ein Beben in der Gegend von Basel gegeben, das vermutlich noch stärker war. Ein solches Beben könnte theoretisch auch zur jetzigen Zeit noch mal auftreten.