Sommer im Regierungsviertel
7. August 2015Der Eierwärmer ist ein sehr deutsches Accessoire - eine gestrickte Haube, die man über das Frühstücksei stülpt, um es vor dem Kaltwerden zu bewahren. Und weil der Berliner "Volksmund" Bauwerken häufig irgendwelche bildlichen Namen verpasst, wird die Glaskuppel auf dem Reichstag "Eierwärmer" genannt - ihre Form erinnert an dieses Häubchen.
Es gibt ernste Zweifel daran, ob es wirklich das Berliner Volk ist, das diese Namen vergibt. Keinen Zweifel gibt es aber daran, dass der "Eierwärmer" in diesen Tagen seinen Namen verdient.
Am Mittwoch (5.8.) wurde es in der begehbaren Stahl-Glas-Konstruktion, die fester Programmpunkt jeder Berlin-Reisegruppe ist, so heiß, dass sie geschlossen werden musste. Man wollte nicht riskieren, dass die Touristen, die die Hauptstadt besuchen, hartgekocht wie 8-Minuten-Eier wieder aus dem deutschen Parlament herauskommen.
Freie Fahrt für Touris
Die Berliner Lufttemperatur schrammte an der 40-Grad-Marke entlang, und wer noch vor sechs Wochen gejammert hatte, dass der Sommer ja nun partout nicht kommen wolle, der hat inzwischen seinen Sound gewechselt und klagt lautstark über die unmenschliche Hitze, die über der Stadt liegt.
Die Agenturen melden, der heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen stehe bevor und die Abgeordneten haben das Regierungsviertel in Richtung Sommerfrische verlassen. Für die Touristen bedeutet das, dass sie mit historischen DDR-Autos, Elektrorollern oder Reisebussen nahezu freie Fahrt haben. Und die Journalisten können sich in ihren zu Brutkästen erwärmten Büros ein wenig zurücklehnen und über leichtere Themen schreiben wie die unerträgliche Sommerhitze in der Stadt.
So könnten die Wochen eigentlich dahinplätschern und man könnte sich langsam in der gemütlichen Langeweile einrichten. Doch dann stört plötzlich ein unbekanntes Flugobjekt die Gemütlichkeit. Eine Drohne schwebt langsam vor dem Fenster vorbei und kreist über der Spree, erhebt sich über die Abgeordnetenhäuser und verharrt in Panoramaposition über dem Spreebogen.
Auf den Straßen sind Lastwagen mit Technik aufgefahren und im Cafe der Bundespressekonferenz, wo sonst um diese Tageszeit nur gelegentlich ein Journalist vorbeischlurft, um sich einen Kaffee in einem Pappbecher zu holen, drängen sich Dutzende Menschen jeden Alters. Eine Filmproduktion hat sich das vakante Zentrum der Macht für ein paar Tage gesichert, um hier einen Actionfilm zu produzieren.
Regierungsviertel in die Luft gesprengt
Die Geschichte ist natürlich höchst geheim, aber so viel wird aus den Gesprächen klar. Terroristen haben das deutsche Regierungsviertel erobert und einen Großteil der Gebäude in die Luft gesprengt. Nun laufen die Passanten ungläubig zwischen den Ruinen dessen herum , was von einer der mächtigeren Hauptstädte der Welt übrig geblieben ist.
Wer jetzt nach dem Auftritt der Drohne allerdings erwartete, dass noch ein pyrotechnisches Spektakel diesem trägen Sommertag ein wenig Würze verleihen würde, wurde leider enttäuscht. Die ganze Action entsteht erst in der Nachbearbeitung und die Aufgabe dieser Komparsen besteht lediglich darin, so zu tun, als schauten sie auf Ruinen.
Zwei Tage bevölkert das Filmvolk das vakante Zentrum der Macht, dann ist auch dieser Spuk wieder vorbei. Die unversehrten Gebäude des Parlaments warten auf die Rückkehr der Abgeordneten, die nach dem Abebben der großen Hitze in zwei bis drei Wochen wieder eintreffen sollten.
Dann wird wieder die Dramaturgie der politischen Debatte den Spreebogen in Berlin beherrschen. Und wenn dann mal wieder ein Oppositionsabgeordneter der Regierung theatralisch vorwirft, das Land in den Abgrund zu treiben, dann wird man da sitzen und sich denken: Wie gut, dass ihr nicht wisst, dass hier alles längst explodiert ist.