Rassismus Elfenbeinküste
4. April 2011Niemand weiß genau, wie viele Menschen Anfang April in der Stadt Duékoué im Westen der Elfenbeinküste ermordet worden sind. Die Angaben schwanken - von 300 über 800 bis zu 1.000 Toten ist die Rede. Die Massenmorde zeigen vor allem eines: Der Hass zwischen den Volksgruppen in der Elfenbeinküste sitzt tief. Seit langem gibt es in der Elfenbeinküste ethnische Spannungen. Im Mittelpunkt stehen zwei Gruppen: Menschen, die aus dem Norden der Elfenbeinküste oder auch den Nachbarländern zugewandert sind und solche, die sich als traditionelle Einwohner sehen.
"Ivoirité" als Mittel zur Spaltung
Verstärkt wurden sie durch eine nationale Idee, die "Ivoirité". 1970 wurde das Konzept etabliert. Denn kurz nach der Unabhängigkeit beherrschte eine wichtige Frage die Elfenbeinküste - wie viele andere Länder Afrikas auch. Was unterscheidet Afrikaner in ihrer Identität von anderen? Was hält Afrika kulturell zusammen? Als Antwort erfanden Intellektuelle und Politiker die "Ivoirité". Die Ideologie sollte die Gemeinsamkeiten der Ivorer nach dem Ende der Kolonialzeit hervorheben.
Doch diese Idee wurde von einigen gründlich missverstanden und politisch missbraucht. Schon in den 1980er Jahren kam es zu Spannungen in der Region Daloa, im Zentrum des Landes. "Dieser Konflikt zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung wurde auch im Konzept der "Ivoirité" sichtbar: ein Konzept, das der einheimischen Bevölkerung den Vorrang gibt, vor allem auch wenn es um den Besitz von Land geht", erklärt Rodrigue Koné, Soziologe im Forschungszentrum für Frieden in Abidjan.
Zuordnung per Personalausweis
Ausgerechnet Alassane Ouattara, den die internationale Gemeinschaft als Sieger der Präsidentschaftswahlen anerkennt, traf 1990 als Premierminister eine folgenschwere Entscheidung. Er führte neue Ausweise ein, für die strenge Regeln bezüglich der Herkunft galten. Viele Einwanderer erhielten diese Karten erst gar nicht, weil sie "Nicht-Ivorer" seien. Aus dem Integrationskonzept wurde ein Konzept, mit dem ein großer Teil der Bevölkerung vom politischen Leben ausgeschlossen blieb.
Für Thiémélé Boa, Philosophieprofessor an der Universität Cocody in Abidjan, ist das einer der wichtigsten Auslöser des Konfliktes, aus dem die Elfenbeinküste seit zehn Jahren keinen Ausweg findet. "Ich nenne das eine Ironie der Geschichte. Ab dem Augenblick, in dem die Aufenthaltsgenehmigung eingeführt wurde und Personenkontrollen vorgenommen wurden, begann das Abgleiten des Landes in die Krise", so Boa.
Ethnische Spannungen im Vielvölkerstaat
Unter dem Vorwand, die Ausweise kontrollieren zu wollen, gingen Sicherheitskräfte aggressiv gegen Migranten und Menschen aus dem Norden des Landes vor. Diese fühlten sich verfolgt. 1994 wurde die "Ivoirité" auch im Wahlgesetz verankert. Laut dem Gesetzestext durfte nur Präsident werden, wer seit mindestens fünf Jahren im Land lebt und ivorische Eltern hat. Alassane Ouattara selbst war damit lange Zeit aus dem Rennen, denn ihm wird vorgeworfen, seine Mutter stamme aus Burkina Faso und auch sein eigener Pass sei dort ausgestellt.
Im Vielvölkerstaat Elfenbeinküste mit 60 ethnischen Gruppen machte sich Fremdenfeindlichkeit breit. 2002 führt das zum Bürgerkrieg. 2005 wurde die ivorische Verfassung im Rahmen von Friedensverhandlungen so verändert, dass theoretisch auch Ouattara Präsident werden konnte. Dafür wurde ein Artikel verändert, der zuvor besagte, dass nur Präsident sein könne, wer immer und ausschließlich die ivorische Nationalität hatte.
Bis heute ist Ouattara gerade für diese Einwanderer, die ein Viertel der Bevölkerung in der Elfenbeinküste ausmachen, eine wichtige Identifikationsfigur. "Er vereinigte die Hoffnungen all derer in der Bevölkerung in sich, die sich ausgeschlossen fühlten und zwar, weil es in der Tat eine Jagd auf alles gab, was irgendwie fremd anmutete", sagt Thiémélé Boa.
Angriffe und Gegenangriffe
Genau das mag auch diesmal zu den inter-ethnischen Spannungen in der vergangenen Woche geführt haben, insbesondere in der Stadt Duékoué. Laut ersten Untersuchungen sollen Gbagbo-Milizen Menschen getötet haben, die als Ouattara-Anhänger galten. In ihren Augen also all jene, die aus dem Norden kommen oder nicht-ivorischer Abstammung sind. Als Ouattaras Einheiten dann die Stadt einnahmen, soll es zu Racheakten gekommen sein: Diesmal waren die Opfer diejenigen, die angeblich Gbagbo nahe stehen - vor allem die einheimische Bevölkerung.
Autoren: Sandrine Blanchard/Dirke Köpp
Redaktion: Daniel Pelz