Leben hinter Algen
26. April 2013Seit März läuft in Hamburg die IBA, die Internationale Bauausstellung. Präsentiert werden unter anderem innovative Gebäudekonzepte - Häuser, die nicht nur Energie sparen, sondern sogar welche erzeugen. Vor kurzem ging der vielleicht originellste IBA-Bau in Betrieb, das Algenhaus. In seiner Fassade gedeihen Mikroalgen, die Wertstoffe und Brennmaterial liefern sollen.
Die Fassade besteht aus 129 Glassegmenten, jedes fungiert als eine Art Aquarium. Plötzlich färbt sich das Wasser darin tiefgrün. Martin Kerner beobachtet das Schauspiel und ist sichtlich zufrieden. „Jetzt werden die Algen eingefüllt", erläutert der Geschäftsführer der Hamburger Firma SSC, die das Algenhaus mit entworfen hat. "Man sieht die Algen-Suspension, wie sie in den Reaktor einströmt."
Die Algen sind mikroskopisch klein, weshalb sie Fachleute als Mikroalgen bezeichnen. Um in den türgroßen Glassegmenten gedeihen zu können, brauchen sie nicht nur eine Nährkultur, sondern auch CO2. Dieses kommt aus den Abgasen einer Gasheizung, die in der "Energiezentrale" steht, einem Raum im Erdgeschoss des fünfstöckigen Wohnhauses.
Ständige Bewegung gegen zu viel Sonne
Außerdem benötigen die Algen Sonnenlicht. Von diesem Licht aber kommt sogar zuviel in der Fassade an. "Die Algen leben für gewöhnlich in einer gewissen Wassertiefe, also im Halbschatten", erklärt Kerner. "Deswegen vertragen sie die pralle Sonne nicht." Aus diesem Grund muss das Wasser in den Glassegmenten ständig im Kreis gepumpt und kräftig durchgequirlt werden. Damit nämlich ist garantiert, dass jede Mikroalge immer nur für einen winzigen Augenblick der direkten Sonnenstrahlung ausgesetzt ist und so dem Hitzetod entgehen kann. Für den Betrachter der Fassade ergibt das ein interessantes Schauspiel: Ströme und Wirbel bilden reizvolle Muster in den Fassadenelementen. Ab und zu lassen die Luftblasen sogar ein hörbares Blubbern vernehmen.
Jetzt steuert Martin Kerner die Energiezentrale an, eine Art hochgerüsteten Heizungskeller. Der Biologe zeigt auf einen schlichten, mannshohen Kessel aus Metall: "Das ist unsere Erntemaschine, sie filtert die Algen kontinuierlich ab." Die reifen Algen bilden einen Wertstoff, den man - empfiehlt Kerner - am besten mehrfach nutzen sollte.
Zusätzlicher Solarspeicher
Die Strategie: Zunächst sollen die wertvollen Inhaltsstoffe extrahiert werden, insbesondere das Algenöl. An diesem haben insbesondere Pharma- und Kosmetikkonzerne Interesse. Für hochwertige Algenextrakte werden pro Kilogramm bis zu 60 Euro gezahlt. Auch als Nahrungsergänzungsmittel und Tierfutter taugen die Inhaltsstoffe. Doch auch das, was bei der Extraktion übrig bleibt, soll verwertet werden: Es landet in der Biogasanlage.
Im Übrigen dienen die Fassadenelemente nicht nur als Algen-Reaktoren, sondern auch als Solarthermie-Module: Die Sonne erhitzt das Wasser darin, ein Wärmetauscher entzieht die Energie und nutzt sie zur Warmwasserbereitung im Gebäude. In einem nächsten Schritt wollen Kerner und seine Leute sogar Dünnschicht-Solarzellen in die gläsernen Fassadenelemente integrieren. Dann würde das Algenhaus nicht nur Biomasse und Wärme erzeugen, sondern gleichzeitig auch klimaneutralen Strom.
Marktreife muss sich zeigen
Marktreif aber ist das Algenhaus-Konzept noch nicht. "Es handelt sich um eine Demonstrationsanlage", betont Kerner. "In den nächsten Jahren wollen wir herausfinden, wie viel Wärme und Biomasse unsere Anlage überhaupt produziert und wie gut diese Biomasse dann genutzt werden kann." Offen ist unter anderem, wie gut das automatische Erntesystem funktioniert und ob sich wie geplant pro Jahr 1,5 Tonnen an Algenmasse ernten lassen. Die Antworten werden die Fachleute erst kennen, wenn sie das Algenhaus ein paar Jahre lang betrieben haben.
Eines jedoch scheint bereits klar: Für den normalen Häuslebauer wird sich die lebende Fassade kaum lohnen. "Das wäre einfach zu teuer", sagt Martin Kerner. "Unsere Algenfassade hier in Hamburg besitzt eine Reaktorfläche von 200 Quadratmetern, und das ist wohl die minimale Größe, die man ansetzen sollte." Wirtschaftlicher wären deutlich größere Flächen, also größere Fassaden. Der Grund: "Man braucht immer ein komplettes Steuer- und Erntesystem", sagt Kerner. "Und das sind Investitionen, die sich erst ab einer bestimmten Anlagegröße lohnen dürften."
Und so dürfte man die Algenfassade, wenn sie sich vom Grundprinzip her bewährt, eines Tages eher an Bürohäuser und Wolkenkratzern finden - etwa an Luxushotels oder Konzernzentralen, die Wert auf eine extravagante Fassade legen und gleichzeitig etwas für ihr Umwelt-Image tun wollen.