War Büchner ein Genie? Fragen an Jan-Christoph Hauschild
1. Juli 2013Der Literaturwissenschaftler hat rechtzeitig zum 200. Geburtstag am 17. Oktober eine neue Biografie über den berühmten deutschen Dichter vorgelegt. Was Büchner mit der deutschen Einigung und heutigen Großdemonstrationen zu tun hat, erklärt Hauschild im DW-Interview.
DW: War Georg Büchner ein Genie?
Jan-Christoph Hauschild: Ich bin immer sehr zurückhaltend mit solchen Formulierungen. Das scheint mir nur eines von diesen Etiketten zu sein, die einen eigentlich nicht weiterbringen. Das rückt den Menschen immer in eine ferne Ferne. Ich möchte ihn lieber auf den Teppich holen.
Warum soll man heute in Asien, in Lateinamerika oder in Afrika Georg Büchner lesen?
Obwohl er nun schon seit über 175 Jahren tot ist, hat er auch heute noch erstaunlich viel zu sagen. Weil er bestimmte Sachen formuliert hat, die wahrscheinlich immer interessant bleiben, solange es Menschen auf der Welt gibt. Er hat sich mit sozialen Problemen beschäftigt. Mit den Problemen, wie man Politik machen sollte, damit sie nicht nur einer kleinen Schicht zugute kommt, sondern wirklich der Mehrzahl der Menschen. Er hat sich aber auch sehr für individuelle psychische Probleme interessiert. Probleme, die den Einzelnen zu einer Randfigur machen, der im gesellschaftlichen Ganzen unterzugehen droht. Er hat das in einer Sprache formuliert, die noch heute unglaublich modern wirkt und auch sobald nicht veralten wird. Das ist auch der Grund, warum er weltweit auf den Theaterbühnen erscheint.
Engagement und Sprachkunst
Was hat noch zu Georg Büchners erstaunlicher Berühmtheit beigetragen?
Es gibt natürlich auch so etwas wie den Mythos Büchner. Der hat auch ganz stark damit zu tun, dass dieser Schriftsteller, Wissenschaftler und Revolutionär mit 23 Jahren gestorben ist. Das trägt sehr viel zu diesem Mythos bei. Wir wissen ja gar nicht, ob er nicht alle seine Manuskripte verbrannt hätte? Wenn er vielleicht nur "Dantons Tod" und "Leonce und Lena" geschrieben hätte, dann weiß ich nicht, ob er diesen Status hätte, den er heute zweifellos hat.
Ich glaube, das bedeutendste Werk ist zweifellos "Woyzeck". Das ist ein kühner Wurf. Ein Blick 150 Jahre in die Zukunft. Ein Werk, das völlig einsam da steht in der Literaturgeschichte. So etwas hat es vorher nicht gegeben. Es hat sehr lange gedauert, bis es ähnliches gab, mit Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, dann noch Bertolt Brecht.
Was ist später passiert in der Wissenschaft? Um Büchner wird ja bis heute heftig gestritten!
Ganz zu Anfang - da war Georg Büchner ein paar Jahre tot - ging es darum, den Mann bekannt zu machen. Natürlich gab es da Widerstände. Es gab welche, die hielten ihn einfach für keinen bedeutenden Dichter. Als er sich dann als Schriftsteller doch durchgesetzt hatte, haben selbst Leute, die mit den Inhalten seiner Texte nichts anfangen konnten und diese auch ablehnten, gemerkt, dass das doch ein bedeutender Kopf ist.
Manche sind bei ihrer Ablehnung geblieben. Andere haben versucht, ihn zu integrieren in den Kanon der Weltliteratur. Dann begann der Streit um Georg Büchner. Dann wurden Texte ausgelegt. Die Biografie wurde gedeutet. Man streitet sich natürlich immer über Wertvolles und nicht um etwas, was man gar nicht schätzt.
Friede den Hütten, Krieg den Palästen
Sie haben in Ihrem neuen Buch den politischen Autor Büchner beschrieben. Inwiefern ist der heute noch aktuell?
Selbst in Deutschland gibt es beim Bau von Großprojekten immer wieder Transparente mit der Inschrift "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" (aus Büchners politischer Streitschrift "Der hessische Landbote"). Das Bundeskriminalamt hat vor 20, 30 Jahren sogar offiziell einmal gegen einen Herren Georg Büchner ermittelt. Ein Flugblatt war mit seinem Namen unterschrieben. Irgendwann wurden dann die Ermittlungen gegen Georg Büchner eingestellt.
Deutschland hat es im heutigen Sinne noch gar nicht gegeben zu Lebzeiten Georg Büchners. Trotzdem: Was ist Deutsch an Georg Büchner?
Wenn er über Deutschland nachdachte, hat er auch immer über die Einigung nachgedacht. Das war ja damals ein Flickenteppich von Dynastien und freien Städten. Georg Büchner gehörte zu den Republikanern. Die wollten die vereinigte deutsche Republik. Aber Georg Büchner wollte auch eine soziale Republik. Er wollte ein Deutschland, das auch sozial mit seinen Bewohnern umgeht. Wo jeder die Möglichkeit hat, seine Glücksansprüche zu verwirklichen.
Das war sicherlich sehr kühn in die Zukunft gedacht. Und wir wissen, dass es sehr lange gedauert hat, bis es so etwas wie "Allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen" gab und bis Verfassungen erlassen wurden. Aber, er war ein Vorkämpfer. Das ist sein Alleinstellungsmerkmal, was er gegenüber vielen anderen deutschsprachigen Dichtern hat und was man auch nicht wegreden sollte.
Zum Weiterlesen: Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner - Verschwörung für die Freiheit, Hoffmann und Campe 2013, 352 Seiten, ISBN 978 3 455 50184 1.