Heikle Haftbefehle für die serbische Regierung
15. Mai 2019Als ihr Chef Vojislav Šešelj noch auf der Anklagebank vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag saß, hatten Vjerica Radeta und Petar Jojić zuhause in Serbien angeblich viel zu tun. Laut Staatsanwaltschaft des internationalen Gerichtshofes, haben sie 2007 und 2008 zwei Zeugen durch Einschüchterung, Erpressung und Schmiergeldzahlungen dazu gebracht, Šešelj zu entlasten.
Einer der Zeugen berichtete der Staatsanwaltschaft, man habe ihm 500 Euro monatlich bezahlt, um die von Radeta vorgefertigte Aussage vor dem Gericht vorzutragen.
Nach dem 15-jährigen Prozess und einem überraschenden Freispruch in der ersten Instanz wurde Šešelj doch noch im vergangenen Jahr für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahre Gefängnis rechtskräftig verurteilt. Die Strafe war kürzer als die bereits verbüßte Untersuchungshaft. Laut Urteil schürte Šešelj während der Jugoslawienkriege mit hasserfüllter Propaganda Gewalttaten gegen Kroaten und Muslime.
Freiwillig gehen sie nicht hin
Der Kriegshetzer sitzt heute als Vorsitzender der oppositionellen Serbischen Radikalen Partei (SRS) im Parlament und leugnet nach wie vor seine Verbrechen. Immer an seiner Seite: Parteifreunde und eben auch die Abgeordneten Radeta und Jojić, deren Auslieferung nun der internationale Gerichtshof angeordnet hat.
Vor allem Radeta nimmt gerne an allen Auftritten ihres Chefs teil - ob eine Kundgebung als Unterstützung für Donald Trump, oder bei der öffentlichen Verbrennung der kroatischen Flagge. Im vergangenen Sommer sorgte sie für Aufregung als sie mit unappetitlichen Witzen den Völkermord in Srebrenica leugnete.
Noch 2015 gab es einen Haftbefehl gegen Radeta und Jojić, sowie gegen Jovo Ostojić, der inzwischen verstarb. Doch die Kriegsverbrechenkammer des serbischen Gerichtes urteilte 2016, dass eine Auslieferung unzulässig sei. Serbien könne nur eigene Staatsbürger ausliefern, die wegen Kriegsverbrechen gesucht werden, so die Deutung der Belgrader Richter.
Das sieht man in Den Haag anders: Serbien sei zu jeglicher rechtlichen Hilfe gegenüber dem Internationalen Gericht verpflichtet. Nach längerer Überlegung lehnten die Haager Richter die Initiative Serbiens ab, den Prozess gegen Radeta und Ostojić in Belgrad abzuhalten. Die beiden Zeugen hätten Angst, in Serbien auszusagen, erklärte Richter Liu Daqun in seiner am 14. Mai bekanntgegebenen Entscheidung.
Für die Verhinderung des Gerichtsverfahrens gegen sie drohen den beiden bis zu sieben Jahre Haft oder ein Bußgeld von bis zu 100.000 Euro.
Doch wenn es nach Radeta geht, bleiben sie und ihr Kollege Jojić lieber in Belgrad. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die serbische Justiz trotz Entscheidung des einheimischen Gerichtes sie ausliefere. "Das ist aber eine Frage für die Regierenden", so Radeta gegenüber Journalisten.
"Politisch teuer" für Präsident Vučić
Die Frage ist äußerst heikel. In Belgrad regiert Präsident Aleksandar Vučić, der ehemalige Parteifreund von Šešelj, Radeta und Jojić. Vor gut zehn Jahren spaltete Vučić die SRS und gründete die Serbische Fortschrittspartei, die eine pro-EU Rhetorik pflegt und für Versöhnung mit Kroaten, Bosniaken und Kosovo-Albanern steht.
Doch seine Kritiker sehen ihn immer noch als "getarnten Radikalen" - als einen, der nur aus opportunistischen Gründen den Pro-Europäer gebe. In den wenigen freien Medien im Balkanland Serbien wird Vučić als Autokrat bezeichnet, der Medien und Justiz an der kurzen Leine hält und für beispiellose Vetternwirtschaft steht. Seit Dezember laufen Dauer-Proteste in rund hundert Städten gegen Vučić.
Die eventuelle Auslieferung zweier Ultranationalisten nach Den Haag wäre für den Präsidenten sehr unangenehm, meint Vera Didanović, eine erfahrene Journalistin der Belgrader Wochenzeitung NIN. Zumal das Haager Tribunal in der Öffentlichkeit immer noch als "antiserbisch" gelte. Rund 56 Prozent der Serben halten das Tribunal für "parteiisch", so das Ergebnis einer Umfrage des Instituts Demostat Ende 2017.
"Politisch könnte es für Vučić teuer werden, unter den nationalistischen Wählern, mit deren Stimmen er nach wie vor rechnet, als Verräter etikettiert zu werden", so Didanović gegenüber der DW.
Ein Abgeordneter der Fortschrittspartei meldete sich schon via Twitter zu Wort. "Der Staat darf nicht die idiotische Entscheidung der Trottel von Haager Tribunal befolgen", schrieb Vladimir Đukanović. "Haut ab aus Serbien, ihr Verbrecher!"
Präsident Vučić pflegt mit seinem politischen Ziehvater Šešelj eine nützliche Beziehung - Šešelj darf regelmäßig in Studios der regierungsnahen Fernsehsender auftreten, um dann nicht etwa gegen die Regierung, sondern gegen die bürgerliche Opposition, unabhängige Journalisten, Kroaten oder Albaner zu Felde zu ziehen.
Auch im Parlament fungiert Šešelj weiterhin als Klubchef, obwohl das Gesetz vorschreibt, dass das Abgeordnetenmandat enden soll, wenn man mindestens zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Doch die regierende Partei will sein Mandat nicht aufheben.
Die Präsenz der radikalen Nationalisten sei für Vučić sehr nützlich, analysiert Didanović. "Sie sollen ein Buhmann für den Westen sein. So kann sich Vučić im Vergleich mit ihnen als mäßig präsentieren."
Den Haag war gestern?
Die Kooperation mit dem Haager Tribunal galt lange als wichtigste Bedingung für die EU-Integration Serbiens. Alle prominenten Angeklagten lieferte aber schon die vorige Regierung aus - darunter den ehemaligen politischen Führer der bosnischen Serben Radovan Karadžić und seinen General Ratko Mladić. Beide wurden wegen Kriegsverbrechen - unter anderem wegen des Völkermordes an Muslimen in Srebrenica - zu lebenslanger Haft verurteilt. In Prozess gegen Mladić läuft noch ein Berufungsverfahren.
Mit großem internationalen Druck, den neuen Haftbefehlen Folge zu leisten, rechnet man in Belgrad jedenfalls nicht. Radeta und Jojić scheinen in Serbien sicher zu sein, so lange sie keine Grenze überqueren. Ein internationaler Haftbefehl könnte nämlich bald über Interpol aktiviert werden.