Herrlich: Im Glauben liegt die Kraft
21. Dezember 2017Eine leichte Berührung reichte aus, um Leverkusens Trainer Heiko Herrlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Beim DFB-Pokal-Achtelfinal-Spiel bei Borussia Mönchengladbach landete der 46-Jährige in seiner Coaching-Zone kurz vor dem Spielende auf seinem Hosenboden. Eine unnötige und nicht gerade gut gespielte Showeinlage, denn der gegnerische Spieler Denis Zakaria hatte den Trainer nur kurz mit der Hand berührt. "Ich schäme mich für die Aktion", sagte Herrlich nach dem Spiel.
"Es sah sicherlich blöd aus, aber es war absolut keine Absicht. Das ist im Affekt passiert. Da muss ich mit meinen 46 Jahren stehen bleiben, ganz klar", führte er weiter aus. Sicher gehören solche Szenen zu jenen, die ein Sportler gerne vergessen würde. Dennoch zeigen die Reaktion und die Entschuldigung für sein Verhalten, dass Herrlich etwas anders tickt und auch mal einen Fehler eingestehen kann. Er hat viel erlebt, sportlich und privat. Es gab viele Höhen, aber auch Rückschläge in seinem Leben.
"Man ist danach ein anderer Mensch"
Seine sportlich größten Erfolge feierte er mit Borussia Dortmund. Mit dem BVB gewann der frühere Stürmer die Champions League, den Weltpokal, holte zwei Deutsche Meisterschaften und gewann zudem mit Borussia Mönchengladbach und dem BVB in den 1990er Jahren jeweils einmal den DFB-Pokal.
Doch vor knapp 18 Jahren nahm sein Leben eine überraschende Wende. Bei Herrlich wurde ein bösartiger Gehirntumor festgestellt, der zwar erfolgreich behandelt werden konnte, ihn aber bis heute prägt. "Das ist schon viele Jahre her. Natürlich ist man danach ein anderer Mensch, wenn man so etwas erlebt hat", erinnert sich Herrlich im Interview mit dem TV-Sender Sport1.
"Es verschiebt sich vieles im Leben. Existenzielle Sorgen, was materielle Dinge angeht, rücken dann eher in den Hintergrund. Man ist glücklicher und zufriedener mit einfachen Dingen." Besonders im Glauben fand Herrlich in dieser schweren Zeit Halt und Zuversicht. "Ich bin ein gläubiger Mensch und war das auch damals schon. Das Danken und die Demut rücken nach solchen Erlebnissen noch mehr in den Vordergrund", erklärt er. Nach seiner Erkrankung kehrte Herrlich auf den Fußballplatz zurück, bevor er 2004 seine sportliche Karriere beendete.
Die Geschichte der Ehebrecherin
Ein Jahr später machte der Angreifer seine Trainerlizenz beim DFB. Nach mehreren Stationen im Nachwuchsbereich führte er Jahn Regensburg in nur zwei Jahren von der Regionalliga in die 2. Liga. "Ich glaube, Erfolg ist einfach, wenn du das Gefühl hast, dass jeder in deinem Kader seine Rolle gefunden hat und jeder für die Sache alles gegeben hat. Wenn die Mannschaft wichtiger ist als das eigene Ego - das ist für mich eine Art von Erfolg", sagt Herrlich. "Dass man selbstlos Diener ist für die Sache, nach dem Motto: Das, was vorne draufsteht, ist wichtiger, als das was hinten draufsteht."
Der sportliche Erfolg mit Regensburg geriet jedoch auch einmal ins Wanken, denn der Trainer hatte ein Problem. "Ich hatte mal einen Spieler bei Jahn Regensburg, der die halbe Mannschaft gegen sich aufgebracht hatte, aber sportlich sehr wichtig für uns war", berichtet Herrlich. Einen Lösungsansatz für diese Angelegenheit habe Herrlich dann in der Bibel gefunden, im Johannes-Evangelium. Er habe die Geschichte von der "Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte", vorgelesen. "In der Geschichte fragt Jesus: Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." Niemand habe sich gegen den "Problem-Kicker" gestellt, so der Coach.
Am Ende habe er sich dann entschieden, es bei einer "Strafe" zu belassen. "Der Spieler sollte die Mannschaft zweimal zum Essen einladen, und im Gegenzug wurde ihm vom Team wieder die Hand gereicht. Das hat wunderbar funktioniert, und am Ende haben wir zusammen einen sehr großen Erfolg gehabt."
Ottmar Hitzfeld als Vorbild
Seit dieser Saison ist der 46-Jährige Trainer von Bayer Leverkusen. Trotz leichter Startschwierigkeiten mit nur zwei Siegen in acht Bundesliga-Partien, blieben Herrlich und auch die Vereinsführung ruhig. Es zahlte sich aus, auch weil Herrlich sich von seinem Vorbild Ottmar Hitzfeld, unter dem er in Dortmund große Erfolge gefeiert hatte, vieles abgeschaut hat. "Egal ob Sieg oder Niederlage. Wenn negativer Druck aufkam, hat er das nie an die Spieler weitergetragen, sondern hat es alles auf sich bezogen. Auch im Erfolgsfall ist er immer bescheiden und demütig geblieben", erinnert sich Herrlich bei Sport1. "Es war nie so, dass er sich wichtig genommen hat. Das sind Punkte, die ich für mich übernommen habe. Letztendlich kommen die Zuschauer alle ins Stadion wegen den Spielern und nicht wegen dem Trainer."
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Die moderne Technik und auch die dadurch sich ergebenden Möglichkeiten der Trainingssteuerung nimmt Herrlich gerne an und nutzt sie. Doch neben Technik, Taktik und Athletik ist die Persönlichkeit seiner Spieler für den 46-Jährigen ein ganz wertvoller Faktor. "Das Wichtigste ist, trotz aller neuen Methoden, dass ich eine Verbindung zu den Spielern habe. Dass ich sie überzeugen kann und dass ich eine Beziehung zu den Spielern aufbaue", sagt Herrlich. "Auch die besten Trainingseinheiten machen keinen Sinn, wenn du die Spieler nicht da abholst, wo sie stehen."
Demut und Dankbarkeit sind in der heutigen, oft glamourösen, Fußballwelt selten geworden. Der Coach von Bayer Leverkusen versucht diese Werte trotzdem hochzuhalten und sie seinen Spielern zu vermitteln. "Ich habe hier in erster Linie die Aufgabe Punkte zu holen und die Mannschaft zu verbessern. Wenn ich vor Problemen stehe oder nicht genau weiß, wie es weitergeht, dann suche ich natürlich auch einmal Rat in einer Predigt. Es ist ein sensibles Thema", sagt er. "Wir haben hier auch ein paar christliche Spieler, die regelmäßig Gottesdienste oder Bibelkreise besuchen, aber es gibt eben auch Jungs, die damit nichts zu tun haben. Man muss gucken, dass man einen Mittelweg findet und dass man glaubwürdig bleibt."
Leverkusen krönt gute Hinrunde
Mit dem Einzug in das DFB-Pokal-Viertelfinale krönt die Werkself mit ihrem neuen Trainer eine gute Hinrunde. In der Bundesliga belegt der Klub den 4. Platz und hat damit alle Möglichkeiten die desaströse vergangene Spielzeit vergessen zu machen. Mit einem Trainer, der zwar in Mönchengladbach das Gleichgewicht verloren hat, aber sonst mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht.