Heimkehr in den Donbass
23. Januar 2016"Das Leben in Russland war unerträglich", sagt der 30-jährige Wassili aus Mariupol. Die Hafenstadt am Asowschen Meer, die mehrfach unter Beschuss lag, wird von der Regierung in Kiew kontrolliert und gilt heute als ruhig. Im Januar vergangenen Jahres wurde Wassilis Stadtteil massiv beschossen. Danach entschieden er und seine Frau, sich mit ihren vier Kindern vorerst bei Verwandten in Russland in Sicherheit zu bringen: in der Stadt Rjasan. Seit Beginn der Kriegshandlungen zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten sind nach russischen Angaben über eine Million Menschen aus dem ostukrainischen Industrierevier Donbass nach Russland geflohen.
In Rjasan, so Wassili, hätten die örtlichen Behörden der Familie allerdings nur eine Bescheinigung über vorübergehendes Asyl ausgestellt. Es habe weder Geldleistungen noch humanitäre Hilfe gegeben. "Ich war in vielen Amtsstuben, aber überall bekam ich zu hören: 'Für Euch ist kein Geld da'", klagt der Familienvater. Um zu überleben, habe er alle möglichen Jobs angenommen. Aber nach Zahlung der Miete sei kaum Geld übrig geblieben. "Nur mithilfe unserer Eltern, die sich selbst in Schulden stürzten, konnten wir die Kinder ernähren", berichtet Wassili über seine acht Monate in Russland.
"Wir waren ungebetene Gäste"
Auch der 35-jährige Kirill konnte bei Verwandten in Russland unterkommen, auch er konnte sich nur dank seiner Eltern über Wasser halten. Inzwischen ist er aus Tula mit Frau und Kind zurück in Donezk, das von den Separatisten kontrolliert wird. Doch er will wieder nach Russland. "Unsere Freunde wurden von einer Flüchtlingsunterkunft aus in den Norden Russlands geschickt. Dort geht es ihnen gut. Sie haben eine Wohnung und Arbeit. Zurück nach Donezk wollen sie nicht. Was soll man hier? Ein Unternehmen schließt nach dem anderen", sagt Kirill. Im Norden Russlands, so glaubt, er, seien Flüchtlinge willkommener, als in dichter besiedelten Gebieten. "Da waren wir ungebetene Gäste", betont er.
Das bekam auch Natalia zu spüren, die vor anderthalb Jahren ins südrussische Gebiet Krasnodarsk geflohen war. "Oft wurde ich gefragt, warum ich überhaupt gekommen sei. Russland schicke doch so viel humanitäre Hilfe", erzählt die 30-Jährige. Seit Kurzem ist sie mit ihren drei Kindern wieder in Schachtarsk. "Meine Mutter hat mich dazu überredet. Sie sagte, das Haus sei ganz und anstatt ständig Geld nach Russland zu schicken, könne sie uns besser helfen, wenn wir in ihrer Nähe wären", so Natalia. In Russland habe sie in landwirtschaftlichen Betrieben wenig verdient, aber regelmäßig humanitäre Hilfe sowie eine einfach ausgestattete Wohnung erhalten. Dennoch sieht Natalia für sich in Russland keine Zukunftsperspektive - viele andere Flüchtlinge sehen das ähnlich.
"Überhöhte Erwartungen an Russland"
Wie viele Flüchtlinge aus Russland in den Donbass bereits zurückgekehrt sind, ist schwer zu sagen. Die Ukraine führe keine entsprechenden Statistiken, gesteht Oksana Jermischina von der "Ukrainischen Organisation für Vertriebene". Sie glaubt, die Menschen seien mit überhöhten Erwartungen nach Russland geflohen, ohne die wirkliche Lage dort zu kennen. Die Gründe für ihre Rückkehr seien aber dieselben, wie die der Donbass-Flüchtlinge, die sich in anderen Gebieten der Ukraine niedergelassen hätten. "Sie haben weder Arbeit noch Wohnungen", so Jermischina.
"Trotz eines guten Jobs und Wohnung haben es meine Freunde und Bekannten in Russland nicht ausgehalten", erzählt Tatjana Lomakina vom "Rat der Frauen von Donezk". Die in Mariupol ansässige Organisation hilft von Kämpfen betroffenen Menschen. "Sie hörten von überall, in der Ukraine herrsche eine Junta. Aber alle Versuche, den Russen klarzumachen, dass dies unwahr ist, ihnen die Lage in der Ost-Ukraine objektiv zu erklären, trafen auf Ablehnung", so Lomakina. Viele Flüchtlinge seien in Russland psychisch unter Druck geraten, aber nur wenige könnten nach ihrer Rückkehr offen über ihre Erlebnisse reden.
"Auch zu Hause hat man es schwer"
Zu ihnen gehört Anastasia aus Mariupol. "Wir wurden in Russland unterschiedlich behandelt. Manche sagten, wir sollten in die Ukraine zurückkehren. Aber es gab auch viele hilfsbereite Menschen", sagt die 24-Jährige. Sie beklagt, dass es Rückkehrer jetzt auch zu Hause schwer hätten. Man werde dafür verachtet, nach Russland geflohen zu sein. "Man gilt als Separatist und Landesverräter. Aber ich habe niemanden verraten. Ich wollte das Leben meines Kindes retten. Unsere Fenster zitterten wegen Explosionen", betont Anastasia.
Als ihr Vater schwer erkrankte, kehrte sie mit Mann und Kind nach Mariupol zurück. "Aber wir wären früher oder später zurückgekommen. In Russland hatten wir wenig Geld und wir vermissten unsere Angehörigen. Orjol ist eine schöne, aber fremde Stadt", so Anastasia.
Aus ähnlichen Gründen ist auch Wassili mit seiner Familie ins heimische Mariupol zurückgekehrt. Aber ganz wohl fühlt er sich auch dort nicht. "Von weitem hört man von Zeit zu Zeit Explosionen. Arbeit findet man hier kaum", sagt Wassili, der gelernter Kranführer ist. "Ob in Russland oder hier, wir haben dieselben Probleme, vor allem, wie wir unsere Kinder ernähren sollen. Man will um Hilfe schreien, aber das wird sowieso von niemandem gehört", sagt der Familienvater traurig.