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Thomas-Mann-Forscher besorgt um Amerikabild

17. Juni 2018

Bei der Einweihung des Thomas-Mann-Hauses in Los Angeles war Heinrich Detering Ehrengast: Deutschlands profiliertester Mann-Forscher denkt im DW-Interview über das literarisch-politische Erbe des Schriftstellers nach.

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Heinrich Detering
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Deutsche Welle: Herr Prof. Detering, Sie sind Literaturwissenschaftler und Thomas-Mann-Forscher. Was mögen Sie an diesem Autor?

Heinrich Detering: Thomas Mann ist für mich einer der unterhaltsamsten Schriftsteller der Weltliteratur und einer der komischsten. Eigenartig, dass sich noch immer nicht herumgesprochen hat, dass Romane wie "Buddenbrooks", "Der Zauberberg" oder der "Joseph"-Roman einige der witzigsten Passagen und Dialoge enthalten, die es gibt. Außerdem hat er natürlich all die anderen Qualitäten, die man von ihm erwartet: Man kann mit ihm denken lernen, Phantasien nachgehen, man kann mit ihm ganze Gebirge der abendländischen Kultur durchwandern. Es ist schwer, sich mit Thomas Mann zu langweilen.

Jetzt sollen Sie in seinem Geiste wirken - als Fellow, als Stipendiat des neuen Thomas-Mann-Hauses in L.A.. Was genau heißt das für Sie?

Zunächst heißt das für mich, dass ich alten Bekannten begegnen kann. Ich habe ja im Laufe der Jahre viel gelesen und geschrieben über Dinge, die in diesem Haus geschehen sind - über Begegnungen, die dort stattgefunden haben, Texte, die dort entstanden sind, Konflikte, die Thomas Mann hier mit sich und anderen ausgetragen hat. Aber ich bin nie hineingekommen. Ich habe als sehr junger Doktorand mal vor dem Eingang des Grundstücks gestanden und konnte keinen Schritt weiter gehen, weil das Haus in Privatbesitz war. Also erstmal will ich ein bisschen Lokalatmosphäre einatmen, das ist schon sehr wichtig.
Und dann denke ich, dass die Zeiten im transatlantischen Verhältnis so schlecht sind, dass es nicht mehr nur ein Sonntagsreden-Thema ist, sich mit den transatlantischen Beziehungen zu beschäftigen - also damit, was es eigentlich heißt, literarische, kulturelle, intellektuelle Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland zu praktizieren, in einer Zeit, in der die beiden Kontinente so weit auseinander scheinen wie schon lange nicht mehr.

Thomas Mann läuft im weißen Anzug im Garten seines Hauses in Kalifornien mit Kind an der Hand.
1941: Thomas Mann im Garten seines HausesBild: picture alliance/AP Photo

Sie sagen zu Recht, derzeit steht es nicht zum Besten um die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland. Kann denn Thomas Mann, der ja auch ein Grenzgänger war, da eine Art Lotse sein?

Ja, das kann er. Weil er nämlich, im buchstäblichen Sinne, unheimlich vieles von dem, was wir jetzt erleben, schon einmal erlebt hat. Es war für ihn die vielleicht größte Enttäuschung in Amerika, dass nach der endlichen Niederschlagung des deutschen Nationalsozialismus' mit dem Kalten Krieg so rasch eine neue Form von populistischer Massenbewegung entstand. Das Wort "populistisch" gab es noch nicht, aber ansonsten fehlte es eigentlich an nichts. Thomas Mann hat damals, 1947, in sein Tagebuch geschrieben, mit dem "schwindenden Rechtssinn" beginne eine schleichende "Herrschaft faschistischer Gewalt". Alle Züge des aggressiv Populistischen, der Medienhetze, eines antiintellektuellen Ressentiments, eines wiederkehrenden Rassismus' und so fort - er hat das mit Entsetzen beobachtet. Das, was sich schlagworthaft hinter dem Namen "McCarthy" verbirgt, ist eine ganze Gemengelage von autoritären und antidemokratischen Bewegungen, die Thomas Mann miterlebt und die er schreibend und redend bekämpft hat. Es gibt viele Texte über diese Erfahrungen, die noch immer sehr wenig gelesen sind und die doch an aktueller Dringlichkeit den großen Romanen dieser Zeit kaum nachstehen. Da ist vieles wiederzuentdecken.

Würden Sie sagen, die Enttäuschung, die Thomas Mann damals verspürte, entspricht in etwa der Enttäuschung, die viele Deutsche zurzeit in Bezug auf Amerika empfinden?

Man könnte beinah sagen, dass der Übergang von der - aus Thomas Manns Sicht - verklärten Lichtgestalt Roosevelts zum McCarthyismus sogar in den Hauptfiguren des Dramas Ähnlichkeiten mit dem Übergang von der Lichtgestalt Obamas zur Trump-Bewegung zeigt. Das sind vielleicht nicht nur anekdotische Analogien, sondern ähnliche Konstellationen aus amerikanischer Liberalität und amerikanischer Reaktion, die hier wie da aufeinanderstoßen.

Demonstranten in New York mit Anti-Trump Bannern.
Anti-Trump-Demonstration in New York 2016: Der US-Präsident stellt den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft auf eine harte Probe Bild: Getty Images/E. Munoz Alvarez

Wo ist jetzt der Ausweg? Thomas Mann konnte schreiben. Was tun Sie zum Beispiel?

Ich habe mir in meiner kleinen Schreiberexistenz vorgenommen, während dieser Fellowship, für mich selber etwas von dem zu versuchen, was Thomas Mann damals im weltliterarisch großen Maßstab unternommen hat - nämlich an Traditionen eines, im weiten Sinne des Wortes, weltoffen-liberalen Denkens und Lebens in der Vergangenheit zu erinnern und womöglich davon zu lernen. Was er in vielen seiner Reden und Essays und im ganz großen Format in den "Joseph"-Romanen getan hat, dessen letzter Band ja unverkennbar biblisch-antike und amerikanisch-gegenwärtige Züge verbindet, das könnte man heute versuchen, indem man verschüttete Texte wiederentdeckt und zum Sprechen bringt, etwa von Protagonisten der deutsch-amerikanischen Beziehungen wie Carl Schurz (Ende der 1840er Jahre ein radikaldemokratischer deutscher Revolutionär, der in die Vereinigten Staaten auswanderte und dort Politiker wurde. Anm. d. Red.) oder dem zu Unrecht vergessenen Schriftsteller Franz - später: Francis - Daniel Pastorius (Jurist und einziger deutscher Schriftsteller des Barock in Amerika. Anm.d.Red.), der ein witziger Poet und einer der ersten Kämpfer gegen die Sklaverei gewesen ist. Es gibt viele solcher verschütteten literarisch-politischen Traditionen, die in unsere Gegenwart zu holen sich vielleicht lohnt.

Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann mit Zeitung und Zigarre am Tisch sitzend.
Thomas Mann in den USA im Jahr 1947: Wenige Jahre zuvor wurde er amerikanischer StaatsbürgerBild: picture-alliance/dpa

Freuen Sie sich auf die USA?

Vor einem Jahr hätte ich diese Frage enthusiastisch bejaht. Inzwischen muss ich gestehen, dass ich in einer merkwürdigen Gefühlsmischung schon zur Einweihung des Hauses reise. Weil die Angst über das, was ich dort vielleicht erfahre, der Freude über dieses schöne Haus zuwiderläuft. Die Gegenwart gießt Essig ins historische Vergnügen. Ich war in Amerika während der Monate, in denen sich die Tea-Party-Bewegung zum ersten Mal massiv öffentlich artikulierte, im Kampf gegen Obamas Gesundheitsreform. Und ich habe das damals als schockhaft empfunden, wie der aggressiv rassistische Diskurs, dem man nirgends entgehen konnte, plötzlich mein helles Amerikabild verdunkelte. Ich weiß nicht, ob jetzt wieder so etwas geschehen wird. Ich hoffe, nicht.

Heinrich Detering, Jahrgang 1959, lehrt heute als Professor für Neuere deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen. Von 2011 bis 2017 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er hatte Gastprofessuren unter anderem an mehreren US-amerikanischen Universitäten. In diesem Jahr geht er als einer von vier Stipendiaten an das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles.

Mit Heinrich Detering sprach Stefan Dege.