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Helfer für alle Schadensfälle

1. August 2003

Leipzig ist eine Literaturstadt. Nicht nur wegen der Buchmesse. Auch außerhalb von Messezeiten hat man in der Stadt an der Pleiße eine ganz besondere Beziehung zum Buch.

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Ramponierte Kurfürsten-BibelBild: AP
Professor Wolfgang Wächter betrachtet die alte Bibel, die vor ihm liegt, und streicht prüfend über einzelne Seiten. "Selbst wenn man diese Bibel 100 Jahre lang in einen Kasten legen würde, verschlimmert sich ihr Zustand nicht mehr", sagt der Fachmann für Bucherhaltung. Denn obgleich der alte Band reichlich ramponiert aussieht, handelt es sich bei den Schäden um rein mechanische Abnutzungserscheinungen: lose Blätter, Risse und Flecken.

Da ist man im Leipziger Zentrum für Bucherhaltung (ZfB) ganz anderen Kummer gewöhnt. "Die ganze Palette vorstellbarer Schäden haben wir hier schon gehabt, vom Wasserschaden bis zur zerbröselnden Zeitungsseite", berichtet Wächter. Alte Bücher wie die vor ihm liegende Bibel gehören dabei zu den einfacheren Aufgaben.

Papierene Zeitbomben

Viel schwieriger sieht es da schon mit vergleichsweise jüngeren Büchern oder mit Zeitungen aus. "Etwa Mitte des 19. Jahrhunderts fängt die Dramatik durch die Industrialisierung der Papierherstellung an", sagt Wächter. Die Rohstoffsituation und die Produktionsweise änderten sich, immer mehr holzhaltige Papiere kamen auf den Markt, deren chemische Zusammensetzung sich als "Zeitbombe" erwies.

Schon zu DDR-Zeiten beschäftigte sich Wächter mit dem Problem der Restaurierung alter Druckerzeugnisse. "Wir sind damals mit der Vorstellung angetreten, dass die Wiederherstellung mechanisierbar, automatisierbar und damit bezahlbar sein müsste", erzählt er. 1998 ging dann das ZfB aus dem Zentrum für Bucherhaltung der Deutschen Bibliothek - Deutsche Bücherei Leipzig als Ausgliederung hervor. Heute bietet das ZfB eine umfassende Palette an Dienstleistungen rund um die Restaurierung von Druckerzeugnissen.

Papierspaltung

Buchrestaurierung
Buchrestauratorin bei der ArbeitBild: AP

Ein wesentlicher Bestandteil ist dabei die Papierspaltung. Das Verfahren ist bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt und wird für brüchige Papiere benutzt, die einen von außen unsichtbaren neuen Kern erhalten. Die Besonderheit beim ZfB: Es ist den Spezialisten gelungen, das Verfahren zu automatisieren. Mit der von ihnen entwickelten Maschine können sie Tag für Tag bis zu 10.000 Blätter spalten. "Die Einzelbearbeitung per Hand kostet viel Geld, ganze Bibliotheken auf diese Weise zu bearbeiten war einfach nicht realistisch", erläutert Wächter, der heute Technischer Direktor des ZfB ist. Mit dem neuen Verfahren ist es dagegen möglich geworden, große Kapazitäten innerhalb überschaubarer Zeiträume zu ermöglichen.

Der Bedarf für eine umfassende Bestandserhaltung vor allem nationaler Kulturgüter ist nach Meinung von Wächter enorm. Allein in Deutschland sei es eigentlich notwendig, über die nächsten zehn Jahre ein nationales Bestandserhaltungsprogramm aufzulegen, das mit jährlich zum Beispiel 10 Millionen Euro ausgestattet sein müsste. Auch in anderen Ländern seien Bibliotheksbestände gefährdet. "Verständlicherweise werden aber nationale Kulturgüter nicht gern über die Ländergrenzen herausgegeben", weiß Wächter. Er sieht deshalb das ZfB auch als Modell, das in anderen Staaten greifen könnte. Verschiedene Kooperationen seien bereits in Ost und West ins Auge gefasst. Dies würde auch zum wirtschaftlichen Aufblühen des ZfB beitragen.

Offen für alle Aufträge

Aber egal, ob es sich um nationale Kulturgüter, durch Wasserrohrbrüche geschädigte Bibliotheksbestände oder um Einzelstücke handelt: Die Spezialisten des ZfB nehmen sich aller Druckerzeugnisse an, die ihnen anvertraut werden. Für die Kunden wird zunächst ein Angebot erstellt, in dem alle Schäden und die möglichen Behandlungsschritte sowie die Kosten aufgelistet sind. Die alte Bibel kann - wenn der Auftraggeber sich zur Auftragserteilung entschließt - noch weitere 1000 Jahre in der Familie weitervererbt werden. (ap/wga)