Helma Sanders-Brahms ist tot
27. Mai 2014In der Zeit nach 1968, als sich die zornigen jungen Regisseure des Neuen Deutschen Films mit revolutionären Themen beschäftigten, drehte Helma Sanders-Brahms Filme über das einfache Leben – über Frauen zwischen Aufbruch und ersten Emanzipationsversuchen. "Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt" (1969) war ihr erster Dokumentarfilm. Die Arbeits- und Lebenswelt von Frauen blieb lebenslang ihr Thema. 1976 erregte sie mit dem Spielfilm "Shirins Hochzeit" Aufsehen, weil sie erstmals die Zwangsheirat einer jungen Türkin auf die Kinoleinwand brachte – ein absolutes Tabuthema damals.
Von Pasolini zum Filmemachen ermutigt
Helma Sanders-Brahms wurde 1940 in Emden geboren. Sie studierte Schauspiel und Theaterwissenschaften und jobbte als Model, Krankenschwester und Fernsehansagerin, um ihr Studium zu finanzieren. Während eines Italienaufenthaltes lernte sie den Regisseur Pier Paolo Pasolini kennen - und ließ sich von ihm zum Filmemachen ermutigen. Ihr Kinofilm "Deutschland, bleiche Mutter" (1980) mit Eva Mattes in der Hauptrolle machte sie als deutsche Regisseurin weltweit bekannt.
Die Urururgroßnichte des berühmten deutschen Komponisten Johannes Brahms ließ sich in ihren Filmen immer wieder auf schwierige Schicksale und komplizierte Lebensläufe ein: In ihrem Kinofilm "Heinrich" zeichnete Sanders-Brahms einfühlsam die letzten Tage des Dichters Heinrich von Kleist nach, bevor dieser sich das Leben nahm. Dafür erhielt sie das "Filmband in Gold" des Deutschen Filmpreises. In ihrem Filmessay "Mein Herz - Niemandem!" verfilmte sie fürs Kino die Liebesbeziehung der Dichterin Else Lasker-Schüler zu Gottfried Benn. Sie schrieb auch Hörspiele und verfasste literarische Hörbuchsammlungen, unter anderem "Märchen aus 1001 Nacht".
International geschätzt
2008 spielte Martina Gedeck die Hauptrolle in Sanders-Brahms' Film "Geliebte Clara" über das Dreiecksverhältnis zwischen Robert und Clara Schumann und Johannes Brahms. Die filmischen Arbeiten der Regisseurin wurden vor allem international hoch geschätzt: 1997 bekam sie in Japan den Preis für ihr Lebenswerk, 2013 die Ehrendoktorwürde der Universität Göteborg. Sie hatte seit langem Krebs - mit 73 Jahren erlag Helma Sanders-Brahms jetzt ihrer Krankheit.
"Sie war eine engagierte und leidenschaftliche Filmemacherin wie keine andere, aktiv im Dokumentarfilm ebenso wie im Spielfilm", würdigte Ulrich Gregor, Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, Sanders-Brahms. "Ihr Film Deutschland, bleiche Mutter ist ein Meilenstein der deutschen Filmgeschichte." Auch für die Filmemacherin Jutta Brückner reisst der Tod von Helma Sanders-Brahms eine schmerzhafte Lücke: "Sie war eine Kämpferin bis zum Schluß. Eine sensible Amazone, mit großem Gespür für das komplizierte Verhältnis zwischen Männern und Frauen in einer schwierigen Welt."
hm/rey (dpa/Blickpunkt:Film/Der Tagesspiegel)